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Noch versperrt Mißtrauen den Weg

Die Rebellenbewegung RPF hat weite Teile Ruandas von den mordenden Regierungsmilizen erobert – aber sie findet nur sehr langsam das Vertrauen der Bevölkerung / Mehr Angst als Erleichterung  ■ Aus Kigali Bettina Gaus

Acht Männer kauern im Gras, verschränkte Arme, verschlossene Gesichter, gekrümmte Körperhaltung. Der älteste ist 80, der jüngste kaum 20 Jahre alt. Wird einer angesprochen, duckt er sich unwillkürlich: die Haltung eines Menschen, dessen Würde schon lange mit Füßen getreten worden ist.

Die Männer sind Gefangene der ruandischen Rebellenbewegung RPF (Patriotische Front Ruandas). Sie gehörten zu den Milizen, die gemeinsam mit Teilen der Armee in den letzten zwei Monaten etwa eine halbe Million Menschen mit Macheten, Messern, Speeren und Pfeilen auf bestialische Weise umgebracht haben. „Ich habe nur einen getötet, meinen Nachbarn“, sagt Gilbert Habyarimana, der Jüngste der Gruppe. „Hinterher habe ich Angst gehabt und gezittert. Aber die anderen haben gesagt, ich würde mich daran gewöhnen.“

Kein Mörder will freiwillig gemordet haben

Das Blutbad in Ruanda war von langer Hand vorbereitet gewesen. Seit mehreren Jahren waren Mitglieder der früheren Einheitspartei des am 6. April getöteten Präsidenten Juvénal Habyarimana als Milizionäre ausgebildet und bewaffnet worden. Die Regierenden in Ruanda hatten ihre Machtposition bedroht gesehen: durch eine wachsende Oppositionsbewegung im Land, vor allem aber auch durch die RPF, die seit 1990 einen erfolgreichen Guerillakrieg gegen das Regime geführt hatte.

Bei ihrer Gründung bestand die RPF, die inzwischen auch zahlreiche Mitglieder der Bevölkerungsmehrheit der Hutu in ihren Reihen hat, vor allem aus Tutsi. Diese Ethnie, zu der vor den Massakern 15 Prozent aller Ruander gehörten, hatte jahrhundertelang das Land mit einer Monarchie beherrscht und war erst drei Jahre vor der Unabhängigkeit 1962 in einer blutigen Revolution von der Macht vertrieben worden. Das Regime Habyarimanas hatte immer wieder in einer Propagandakampagne vor einem neuerlichen Griff der Tutsi nach der Macht gewarnt – auch dann noch, als die Regierung mit der RPF im letzten Jahr einen Friedensvertrag geschlossen hatte, der die Bildung einer gemeinsamen Regierung und die Verschmelzung der Streitkräfte vorsah. Den Massakern der letzten Wochen sind vor allem Tutsi zum Opfer gefallen.

Keiner der acht Männer, die in der RPF-Basis Gahini etwa 80 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Kigali festgehalten werden, will jedoch freiwillig gemordet haben. Mit ihren Tutsi-Nachbarn hätten sie in der Vergangenheit stets harmonisch zusammengelebt. Aber sie wären selbst umgebracht worden, wenn sie an den Massakern nicht teilgenommen hätten, so erklären die Gefangenen übereinstimmend. Vom Bürgermeister und anderen Autoritäten seien sie zu ihren Taten gezwungen worden. „Ich bin ärgerlich auf den Bürgermeister, aber er ist auch irgendwie unschuldig. Er hat nur Befehle befolgt“, meint Izayasi Bisura, der älteste der Männer. Der Greis sitzt mit starrem Gesicht etwas abseits von den anderen und wehrt Erkundigungen unwillig ab: „Sie sollten nach all dem nicht fragen. Es ist genug Schreckliches passiert.“

Doch es passiert noch mehr. Das Gebiet, das die Regierungstruppen kontrollieren, wird immer kleiner. Am militärischen Sieg der RPF zweifelt kaum noch ein Beobachter. Dennoch leistet die Armee beim Kampf um die Hauptstadt Kigali weiterhin erbitterten Widerstand. Während in den letzten Tagen im UNO-Hauptquartier Militärs beider Seiten über einen Waffenstillstand verhandelten, war fast unablässig das Geräusch schwerer Artillerie zu hören.

Die Wohnviertel in Kigali sind menschenleer. Im Stadion der Hauptstadt hausen etwa 6.000 Männer, Frauen und Kinder. Sie kochen auf den Gängen, schlafen auf den Treppenstufen. Auf Stacheldrahtrollen wird Wäsche getrocknet. Kinder fahren auf der Aschenbahn Fahrrad. „Flüchtlinge“ nennt sie Leutnant Firmin Gatera von der RPF, die vor knapp zwei Wochen diesen Stadtteil erobert hat. Betroffene sehen das anders: „RPF-Soldaten haben mich hierhergebracht“, erzählt der Händler André Kalisa. „Ich weiß nicht, warum.“ Er liegt auf einer Matratze und hustet: „Ich habe Tuberkulose. Hier gibt es keine Medikamente. Es ist nicht gut hier. Ich will nach Hause.“

„Wir können Zivilisten nicht schützen, wenn sie vereinzelt wohnen“, sagt Leutnant Firmin Gatera dazu. „Sie können auch nur an Sammelplätzen von internationalen Organisationen Hilfe bekommen.“ Das mag stimmen. Aber wie frei sind die Bewohner der RPF- Regionen in ihrer Entscheidung darüber, ob sie Hilfe brauchen? „Jeder, der will, kann nach Hause zurück und seine Felder bestellen“, behauptet Firmin Gatera. Wollen das wirklich so wenige Bauern? Während in den Regierungsgebieten trotz marodierender Soldaten und bewaffneter Milizen Frauen wohnen und Bananen zu Markte tragen, ist in RPF-Regionen über Kilometer hinweg niemand zu sehen. Unzerstörte Häuser liegen verlassen da. Auf Feldern wuchert Unkraut. Kaffeebäume hängen voll mit Früchten, erntereif.

„Die RPF-Soldaten erlauben nicht, daß die Leute in ihre Häuser zurückkehren“, sagt Verdiane Mukantalindwa in der Kleinstadt Byumba. Sie arbeitet in der Küche eines von der RPF eingerichteten Waisenhauses. Die Aufgaben, die die Guerilla-Organisation zu bewältigen hat, sind gigantisch: Mehr als 600 Kinder ohne Angehörige sind in diesem ehemaligen Hotel untergebracht. Ein Kleinlaster, der Neuankömmlinge bringt, wird zu einem neueröffneten Waisenhaus, einige Kilometer entfernt, dirigiert. Im Gebiet von Byumba allein erwarten der RPF zufolge etwa 100.000 Hilfesuchende Nahrung, medizinische Betreuung und Unterkunft. Insgesamt sind im Norden Ruandas, der unter der Kontrolle der RPF ist, nach Angaben des Internationalen Roten Kreuzes mehr als 250.000 Notleidende zu versorgen.

Im Süden des Landes werden Flüchtlinge, die in Missionsstationen Schutz gesucht hatten, gezielt von Milizen ermordet. In RPF-Regionen haben internationale Organisationen dagegen keine Anhaltspunkte für Menschenrechtsverletzungen der Widerstandsbewegung gefunden: „Wir haben hier keine Sicherheitsprobleme“, erklärt Didier Grond vom Internationalen Roten Kreuz. „Wir haben keinerlei Hinweise auf Massaker der RPF“, bestätigt ein UNO-Militärbeobachter, der allerdings hinzufügt: „Unsere Bewegungsmöglichkeiten sind sehr eingeschränkt.“ Die UNO-Angehörigen können in den Gebieten, die die Guerilla-Organisation erobert hat, ebenso wie Journalisten nur in Begleitung von RPF-Angehörigen herumfahren.

Ruandische Flüchtlinge in Tansania haben die RPF schwerer Greueltaten beschuldigt – eine Anklage, die von Beobachtern von Anfang an für mögliche Propaganda entkommener Milizen und Anhänger des Regimes gehalten worden war. In den RPF-Gebieten selbst scheinen improvisierte Krankenstationen und Bemühungen um die Versorgung von Flüchtlingen darauf hinzudeuten, daß die Bewohner keinen Grund zum Mißtrauen gegen ihre Eroberer haben. Wie groß aber ist das Mißtrauen der RPF gegenüber der von ihr „befreiten“ Bevölkerung?

In den RPF-betreuten Lagern wird politische Aufklärung betrieben. „Wir erklären die Ursache des Krieges: daß das Regime die Bevölkerung gespalten hat. Und wir sagen, daß es keine Rolle spielt, ob jemand Hutu oder Tutsi ist, sondern daß wir alle Ruander sind“, erklärt Claire Rudasingwa, die als „Kader“ für die RPF in den Camps arbeitet. Sie erzählt, daß die Flüchtlinge nach ihren Ausführungen Fragen stellen: Warum es zum Krieg habe kommen müssen? Früher hätten sie doch in Sicherheit gelebt. „Aber nach den Erklärungen verstehen sie.“

Bleibt den Flüchtlingen eine andere Wahl, als zu „verstehen“? Und bleibt der RPF eine andere Wahl, als so vorzugehen, wie sie es tut? Als Organisation, die von Tutsi gegründet wurde, muß sie nach einer langen Geschichte ethnischer Diskriminierungen und blutiger Auseinandersetzungen in Ruanda damit rechnen, bei vielen Hutu auf Ablehnung zu stoßen – auch bei solchen, die mit den Massakern der letzten Wochen nicht einverstanden waren. Die RPF- Streitkräfte können den militärischen Sieg davontragen. Das allein aber weist noch nicht den Weg zur nationalen Versöhnung und der Lösung der politischen Probleme in dem zentralafrikanischen Staat.

„Wenn die RPF allein regieren wollte, wäre das selbstmörderisch“, meint Emmanuel Mugunga, Chef der RPF-Informationsabteilung. „Das würde all denen recht geben, die die RPF beschuldigen, die Macht der Tutsi wiederherstellen zu wollen.“ Die Organisation wolle im wesentlichen am Friedensvertrag von Arusha festhalten und „mit den Politikern zusammenarbeiten, die daran beteiligt waren und überlebt haben“. Gemeint sind damit vor allem Vertreter der Oppositionsparteien, die seit 1992, nach Einführung des Mehrparteiensystems, an der Regierung beteiligt waren.

Die Erklärung Mugungas ist eine vage Zukunftsperspektive: Viele Oppositionspolitiker und ihre Anhänger sind tot. Eine Zusammenarbeit mit Vertretern der früheren Einheitspartei ist kaum denkbar, nachdem diese in Rundfunksendungen offen zum Völkermord an den Tutsi aufgerufen haben. Und ist eine Verschmelzung der Streitkräfte beider Seiten nach den Ereignissen der letzten Wochen wirklich noch vorstellbar? Emmanuel Mugunga betont, daß die RPF dafür auch weiterhin eintrete – unter bestimmten Bedingungen: „Das Oberkommando muß diejenigen verfolgen, die für die Massaker verantwortlich sind.“ Sollen Täter zu Richtern werden?

„Die Versöhnung ist ein langer Prozeß“

Gegenwärtig scheint auch in der RPF kaum jemand eine konkrete Vorstellung davon zu haben, wie es in Ruanda nach dem Ende der Kämpfe weitergehen kann. „Die Versöhnung ist ein langer Prozeß. Das wird nicht in zwei Monaten passieren“, meint Mugunga. Auch Leutnant Firmin Gatera glaubt, daß bis zur Rückkehr zum Alltag noch ein weiter Weg zurückzulegen ist: „Es wird Zeit brauchen, die Leute zu überzeugen, friedlich miteinander zu leben. Viele Flüchtlinge in den Lagern stehen unter Schock. Man hat den Leuten nach dem Tod Habyarimanas gesagt, die RPF habe ihn umgebracht. Für die Landbevölkerung aber war er ein Halbgott.“

So hat sich der tote Präsident vielleicht auch selbst gesehen. Sein Wohnhaus bei Kigali, in dem die RPF jetzt Journalisten herumführt, erinnert an die Residenz eines absolutistischen Herrschers: goldbemalte Stühle, schwere Polstergarnituren in Weiß und Rosa, Silberschalen, Statuen, Wandteppiche, Elfenbeinschnitzereien. Das Haus ist nicht geplündert worden, kaum ein Gegenstand wurde zerstört. Eine Ausnahme: ein paar Portraits von Habiyarimana und seiner Frau. Die Augen des früheren Präsidenten sind sorgfältig ausgekratzt.

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