Die Hälfte der Ostler sind Westler

■ Tagung zur Umgestaltung der Ost-Unis: gelungener Aufbau oder Kolonisierung?

„Das ist kein Thema mehr“, so kommentiert der Bremer Professor Rudolf Billerbeck den zunächst weitgehend leeren Seminarraum. Gemeint ist die Übernahme der ostdeutschen Universitäten durch westdeutsche Professoren nach der Wiedervereinigung. Immerhin knapp 50 Personen besuchten am Donnerstag dann doch noch die Abschlußveranstaltung der Tagung „Die ostdeutsche Wissenschaftslandschaft im Umbruch: Erfahrungen, Einblicke und Rückwirkungen“.

Dreh- und Angelpunkt der Diskussion war der Umbau der Universitäten und der Rausschmiß von etwa der Hälfe der Ost-Professoren. Zum Auftakt der Veranstaltung sagte die einzige Ostdeutsche und Vorzeigefrau (es habe sich leider keine passende Professorin gefunden), eine ehemalige Studentin von Eberhard Lämmert aus Halle, klar und deutlich: das radikale Umkrempeln der Wissenschaft habe „menschliche Tragödien“ gefordert. Viele hätten Selbstmord begangen, weil sie ihren Arbeitsplatz verloren hatten. Frappierend sei es gewesen, wenn sich KollegInnen als langjährige Stasi-MitarbeiterInnen entpuppt hätten. Trotz alledem: „Es wird doch Zeit, daß die Westdeutschen begreifen, daß die Ostdeutschen nicht ganz kulturlos waren.“

Der Vortrag der drei Geistes- und Sozialwissenschaftler beschrieb nur eine Seite der Medaille: nämlich wie der Westen den Osten kolonisiert. Eine gewisse Arroganz war dabei nicht zu überhören, wenn Lutz Niethammer von der Neubesetzung der Stellen mit Ost-Professoren sprach. „Den dritten versuchen wir gerade, mit Gottes Hilfe auf eine Professorenstelle zu hieven.“ Tausende ostdeutscher Lehrender haben ihre Stelle verloren. Der Präsident der Humboldt-Universität Fink ist einer von ihnen. Er war zufällig gleichzeitig auf der PDS-Veranstaltung in Bremen. Aber bei der Tagung fehlte seine Stimme.

„Wir haben immer noch eine unsichtbare Grenze“, sagte Eberhard Lämmert von der FU Berlin. Tatsache ist, daß Forschung und Lehre ist Ost und West vor der Öffnung anders organisiert waren. „Bei uns ist die Wissenschaft die Freiheit der Lehre“, so beschrieb der Bremer Professor Wolfgang Emmerich die westdeutsche Forschung. In der ehemaligen DDR sei eine autonome Wissenschaft nicht erwünscht gewesen. Die Lehre sei keine Einheit, sondern sie sei in Forschungszentren zentralisiert gewesen. Innerhalb der Studiengestaltung hätten StudentInnen wesentlich weniger Freiräume gehabt als an westdeutschen Universitäten.

Im Jahre 1990/91 wurden ostdeutsche Professoren nach ihrer „Systemnähe“ überprüft. Mehr als 30.000 Stellen für Wissenschaftler wurden auf etwa ein Drittel zusammengestrichen. Professoren mit allzu großer SED-Treue oder angeblicher Stasi-Verstrickungen mußten gehen. Karl-Siegbert Rehberg betonte, daß es neben den politischen Gründen auch Bedarfsgründe für Entlassungen gegeben habe. So habe sich der Osten schnell an die „Unterbesetzung des Westens“ angepaßt. Von etwa 1.500 Planstellen für Professoren im Osten sind heute etwa zwei Drittel besetzt – davon wiederum knapp die Hälfte mit Ostdeutschen.

Lutz Niethammer von der Friedrich-Schiller-Universität in Jena schilderte die knallharten Fakten des „Aufbaus“ an einer der ältesten und kleinsten deutschen Universität: die Berufungsverfahren der westdeutschen Professoren wurden im Eilverfahren durchgezogen (hierzulande kann ein Berufungsverfahren bis zu zweieinhalb Jahre dauern), allein fünf „freigewordene“ Stellen wurden mit Professoren der alten Bundesländer besetzt –und ein kläglicher Rest der Professuren blieben den Ostdeutschen.

„Ist das nicht eine Karikatur eines Neuaufbaus?“ fragte unvermittelt Wolfgang Emmerich, der die Diskussion leitete. Doch Lutz Niethammer hielt t sich bedeckt, denn für eine Bilanz – so wörtlich – sei es zu früh. Dieser bemerkenswerten Antwort schloß sich Karl-Siegbert Rehberg an: „Es bedarf keiner Bewertung, sondern lediglich einer Beschreibung.“ Fränze Stucky