piwik no script img

StandbildAkademiker ohne Job

■ "Die Reportage: Dr. Arbeitslos"

„Die Reportage: Dr. Arbeitslos“, Freitag, 21.15 Uhr, ZDF

Eine kleine Phänomenologie der grassierenden Akademikerarbeitslosigkeit: Der gleich doppelt, zum Betriebswirt und Grundschullehrer, ausgebildete Kandidat backt keine kleinen Brötchen, sondern Crêpes. Der Gymnasiallehrer fand ein Auskommen als professioneller Märchenerzähler. Eine junge Kollegin tingelt durch diverse Weiterbildungsinstitutionen. Drei hochqualifizierte Physiker machen sich mit einem Ingenieurbüro selbständig, ihre Zukunft ist ungewiß. Ein promovierter Sprachwissenschaftler schlägt sich mit Gelegenheitsjobs, unter anderem als Bürokraft, mühselig durchs Leben.

Wie der Autor Erich Schütz triftig aufzeigt, handelt es sich bei diesen Fällen mitnichten um Einzelschicksale. Abgeschlossenes Studium und akademischer Titel garantieren keinen sicheren Arbeitsplatz, erst recht keine Karriere. Selbstredend können die mit dieser Entwicklung einhergehenden Probleme in einem Dreißig-Minuten-Beitrag allenfalls abgerissen werden. So wäre noch zu hinterfragen, ob vielen Arbeitgebern die gegenwärtige Situation nicht sogar willkommen ist. Beispielsweise können Anwaltskanzleien heute von ihren Bewerbern verlangen, die übliche vierwöchige Probezeit ohne Bezahlung zu absolvieren.

Daß die Hochschulen ihre Absolventen nur unzureichend auf diesen wilden, raschen Veränderungen unterworfenen Arbeitsmarkt vorbereiten, kam in Schütz' Reportage nur als Marginalie vor. Studiert wird heute allein auf kurze Sicht, im Zentrum aller Bemühungen stehen die geforderten Scheine. Universalität kann so nicht erworben, Flexibilität nicht entwickelt, Eigeninitiative nicht gefördert werden – auch für Lehrende ein unerquicklicher Zustand.

Immerhin ließ Schütz einen weiteren wesentlichen Aspekt nicht außer acht: Die Ansprüche der AspirantInnen divergieren. Während die junge Lehrerin Hemmungen hat, beim Klassentreffen von ihrer Situation zu berichten, fühlt sich der Crêpes- Bäcker durchaus wohl, weil er seine Arbeitszeit relativ frei gestalten kann. Was hier anklang, wäre einer eingehenderen Untersuchung würdig: wie Arbeit als absoluter sozialer Wert in einer modernen Dienstleistungsgesellschaft allmählich zum Anachronismus wird und statt dessen zur von Prestigeerwartungen abgelösten, dafür individuell befriedigenden Erwerbstätigkeit werden kann. Harald Keller

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen