: Hunderttausend auf dem Fahrrad naß geworden
■ 500.000 Menschen demonstrierten am Umwelttag für eine neue Verkehrspolitik / Bei zum Teil strömendem Regen aber weniger Beteiligung als erwartet
Bonn/Berlin (AP/taz) – Sogar Autos können ergrünen. Auf dem Bonner Münsterplatz sägten gestern 15 jugendliche mit Gasmasken bewehrte Aktivisten das Oberteil eines alten VW-Golf ab, um im Inneren anschließend mit viel Erde und Torf ein buntes Geranienbeet anzupflanzen. Am Spätnachmittag zogen die Demonstranten das Auto durch die Stadt auf der Suche nach einem prominenten Dauerparkplatz.
Wie in Bonn haben gestern bundesweit eine halbe Million Menschen für eine andere Verkehrspolitik demonstriert. In Hannover blieb die ganze Innenstadt gesperrt, in Kiel veranstalteten rund 15.000 Menschen mitten auf der Hauptverkehrsstraße ein Picknick, und zwischen Koblenz und Mainz demonstrierten nach Polizeiangaben 15.000 Radfahrer auf einer gesperrten Bundesstraße gegen die heutige Verkehrspolitik.
In Berlin strampelten trotz strömenden Regens rund 5.000 RadfahrerInnen mit Helmen und blauen Regencapes zu einer Sternfahrt über den geplanten vierspurigen Innenstadtring. Immer wieder hielten Pulks von 100 bis 200 Radfahrern, darunter viele Familien mit Kindern, den Autoverkehr auf.
Ursprünglich hatten die Veranstalter bis zu einer Million Menschen bei den 2.500 Veranstaltungen des Umwelttages in allen Teilen Deutschlands erwartet. Doch der Regen machte ihnen vor allem in Osten und Süden Deutschlands einen Strich durch die Rechnung. „Es bleibt die bislang größte Demonstration im Wahljahr“, erklärte Michael Schäfer, Sprecher der Aktion „Mobil ohne Auto“.
Umweltverbände, Kirchen, der Deutsche Sportbund und Gewerkschaften hatten für Sonntag zur der Aktion aufgerufen. Schon am Vormittag besuchten nach Angaben der Organisatoren schätzungsweise 40.000 Besucher in Baden- Württemberg und Bayern sogenannte „Mobil-ohne-Auto-Gottesdienste“, die in 400 überwiegend evangelischen Gemeinden angeboten wurden. Im Rheinland wurden etwa 100 solcher Gottesdienste in katholischen Gemeinden abgehalten.
In Frankfurt am Main starteten am frühen Morgen bei Regen rund 500 Radler zu Touren. Auf dem Römerberg waren Ausstellungen, Shows und Demonstrationen rund ums Zweirad zu sehen. Das Festival sollte mit einem Festumzug, an dem auch 80 Oldtimer mit zum Teil mehr als 100 Jahren alten Rädern teilnahmen, zu Ende gehen. In Hamburg und Leipzig wurden jeweils zwischen 15.000 und 20.000 Besucher erwartet.
Angestecken ließ sich gestern auch Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU). Er flog von Bonn nach Berlin und rief dort die Deutschen zu einer Änderung ihres Konsumverhaltens auf. Er selber, so der Minister, wolle künftig an einem Sonntag im Monat aufs Auto verzichten. Töpfer bekräftigte in Bonn, Verordnungen und Gesetze allein reichten nicht aus, um Luft, Wasser und Boden ausreichend zu schützen. ten
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