: Selbstmordthese wissenschaftlich nicht haltbar
■ Grams Eltern gehen gegen Einstellung des „Todesermittlungsverfahrens“ vor
Wiesbaden (taz) – Die Anwälte der Eltern von Wolfgang Grams haben gestern über die neuen Strafanträge wegen Mordverdachts hinaus bei der Staatsanwaltschaft in Schwerin auch eine Beschwerde gegen die Einstellung des Todesermittlungsverfahrens „zum Nachteil von Wolfgang Grams“ erhoben.
Im Rahmen einer Pressekonferenz in Wiesbaden, an der neben Ruth und Werner Grams auch der renommierte Rechtsmediziner Professor Wolfgang Bonte aus Düsseldorf teilnahm, begründeten die Anwälte Andreas Groß und Thomas Kieseritzky sowohl die Beschwerde gegen die Einstellungsverfügung als auch die Strafanzeige mit „neuen Erkenntnissen“ aus den ausgewerteten Akten und mit dem Verweis auf das neue Gutachten von Bonte. Für Bonte steht nach der Beschäftigung mit den bereits vorliegenden Gutachten fest, daß die gerichtsmedizinische Untersuchung der Leiche von Wolfgang Grams und der Indizien vor knapp einem Jahr durch „strategische Fehler“ so erheblich eingeschränkt worden seien, daß wichtige Rückschlüsse nicht mehr „oder nur noch eingeschränkt“ hätten gezogen werden können. Genau das hätten auch die Gutachter in Zürich beklagt und sich deshalb nicht in der Lage gesehen, eine sichere Differenzierung zwischen einer Selbst- und Fremdtäterschaft vorzunehmen. Eine sichere Beurteilung sei ausschließlich von Professor Brinkmann aus Münster vorgenommen worden. Doch die These von Brinkmann von der Selbsttäterschaft lasse sich gerade mit den von Brinkmann vorgetragenen Argumenten auch widerlegen. Nach Brinkmann habe Grams seine Waffe nach seinem „Suizid“ aufgrund einer „atonischen Lähmung“ fallen lassen. Und deshalb sei die Brünner CZ 75 nur einseitig mit Blut bespritzt worden.
Bonte kam dagegen – nach der Beschäftigung mit der Schußbahn und der sogenannten Stanzmarke am Kopf von Wolfgang Grams – zu dem Schluß, daß die Pistole auch im Augenblick des Einschusses nur einseitig mit Blut hätte bespritzt werden können. Ein Rückschluß auf Selbsttäterschaft, so der Leiter der rechtsmedizinischen Abteilung der Heinrich-Heine- Universität, sei deshalb „wissenschaftlich nicht haltbar“. In seinem Zusatzgutachten will Bonte auch „zweifelsfrei“ festgestellt haben, daß die „bogenförmige Hautabschürfung und -rötung“ am rechten Handrücken von Wolfgang Grams durch einen „streifenden Kontakt mit dem Hahnende der Pistole im Rahmen eines Entwindungsgriffes“ entstanden sei.
Den Schluß aus diesem Untersuchungsergebnis zogen dann die Anwälte: „Es besteht heute der hinreichende Verdacht, daß Wolfgang Grams die ihm zugeordnete Waffe entwunden worden ist, wodurch die charakteristischen Verletzungen an seiner Hand entstanden sind.“ Damit steht fest, daß Wolfgang Grams keinen Selbstmord begangen haben kann – eine Schlußfolgerung, der sich Gutachter Bonte in dieser Eindeutigkeit nicht anschließen wollte. Klaus-Peter Klingelschmitt
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