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Deutsche Treue und Suppe

■ „Rust never sleeps“: Wirres Theater um den Kremlflieger

Und es begab sich in einem weißen Ford 12 M mit Pinneberger Kennzeichen, also vielleicht in den späten Sechzigern in Wedel, daß Manfred R. gezeugt ward. Kein Laut der Lust drang dem Vater über die Lippen. Die Mutter fand das „schön“. Im Radio trällerte ein deutscher Schlager. Als reiner Tor wandert Manfred R., der mit einem gewissen Kreml-Flieger mehr als nur die Initialen gemein hat, durch die deutschen Lande.

Und die Zuschauer wandern in Rust never sleeps durch das Kampnagel-Gelände mit: vom Vorplatz der Halle 2 unter das Gestühl der Halle 6, in den hinteren Bereich der Halle 2 und schließlich in deren Bühnenraum.

Deutsche Gegenwartsmythen um Mischa (Gorbatschow und Stich) und Boris (Jelzin und Becker) begleiten ihn. Ein deutsches Attentat wird passieren. Und das Deutsche Fernsehen ist unerbittlich mit dabei.

Zunächst aber trifft Manfred R. eine deutsche Familie auf einem Berggipfel zwischen den Städtchen Bisbingen und Duderstadt. „Deutschland ist ein schönes Land“, sagt Dr. Paul Schrittenmacher, Vorsitzender des Deutschen Wandervereins. Seine Frau hat sich vor sieben Jahren an dieser Stelle in die Tiefe gestürzt. Eine Tochter wird vom Vater verstoßen. Die andere, Rosalinde, verliebt sich in Manfred R. Sie wird ihn schließlich in ihrer eigenen Fernsehshow wiedertreffen.

Das Deutschland, das Autor und Regisseur Thomas Matschoß in dieser Produktion des Theaters Leutstetten schildert, ist ein Apltraum, der sehr bekannt vorkommt. Bis zum Platzen gefüllt ist es mit deutschem Talk-Show-Gerede und Welterlösungswahn, deutscher Treue und Suppe, deutschen Sprüchen und Spießern.

Wer diesem Land entkommt, kann sich glücklich schätzen. Aber das gelingt keinem. Der deutsche Tod ist den Figuren ständig auf den Fersen. Und man selbst will ja auch gar nicht entkommen. Dafür haben Thomas Matschoß und sein Ensemble schon gesorgt.

Anfangs kommt diese „deutsche Schauerkomödie“, so der Untertitel, leicht daher, revueartig in Gags, Songs und Karikaturen verpackt. Später verfinstert sich das Geschehen, bis nicht nur die dargestellten Deutschen durchdrehen, sondern auch die Aufführung selbst Amok läuft. Aber auch da kann man nicht anders als einverstanden sein. Das böse Deutschland wird hier gebannt. Also ist man es erst einmal los. Deutschland ist nicht schön, aber manchmal lustig.

Manfred R. wird die Welt nicht erlösen. Und am Schluß raucht der Tod gelassen eine Zigarette. Großartig.

Dirk Knipphals

Kampnagel, Halle 2, 19.30 Uhr, bis 18. Juni

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