: Eintrittsgebühren für Shangri La
■ In Bhutan will man keinen Massentourismus
Ende März. Man hätte meinen können, der Ausnahmezustand sei erklärt worden. Küensel, die einzige Zeitung Bhutans, sprach von „hektischen Aktivitäten“ und „verzweifelten Maßnahmen“, zahlreiche Beamte beantragten Urlaub, und eine Reihe von Familien zog temporär zu Verwandten. Was war geschehen? Nichts Weltbewegenderes als die Ankunft von 600 Touristen. Mit dem „Tsechu“ von Paro, einem religiösen Tanzfest in der letzten Märzwoche, erreicht die Touristensaison Bhutans ihren alljährlichen Höhepunkt; Beamte nehmen Urlaub, um als Taxichauffeure etwas Zugeld zu verdienen, und wegen der Knappheit an Hotelbetten machen Leute in Paro und der Hauptstadt Thimphu Platz für Gäste, indem sie für kurze Zeit in ihre Dörfer zurückkehren. Die Aufregung um die lächerlich geringe Zahl von Ankünften ist ein Indiz nicht nur für die Schwäche der touristischen Infrastruktur Bhutans, sondern auch für die Stärke ihrer Wirkung auf diese nach innen gerichtete Gesellschaft. Denn mit 600 Gästen in einer Woche waren bereits 20 Prozent der jährlichen Zahl von insgesamt 3.000 Touristen erreicht.
Die Regierung Bhutans hat die jährliche Obergrenze auf 4.000 Ankünfte festgelegt. Sie erfüllt dieses Ziel mit einer restriktiven Visumspolitik und den hohen Gebühren, die ausländische Reiseveranstalter ihren Kunden auflasten müssen. Und diese dürfen nur in Gruppen ins Land. Je nach Angebot – Kulturreise, Trekking, Special-Interest-Aktivitäten wie Naturbeobachtung und Fischen – bezahlen sie für ein Paket zwischen 250 und 350 US-Dollar täglich. Jede der Variationen ist strikt darauf ausgerichtet, den Kontakt mit der lokalen Bevölkerung auf ein Minimum zu beschränken: die Treks folgen vorgeschriebenen Routen, welche die Dörfer und Zeltunterkünfte der Bergnomaden umgehen; der Besuch von Klöstern beschränkt sich auf eine kleine Liste, und die Mönche sind gehalten, den Kontakt mit den Besuchern auf ein Mindestmaß zu beschränken. Auch die Umwelt soll nach Möglichkeit unberührt gelassen werden. Von den Berggipfeln im Himalaya sind zur Zeit nur drei für Expeditionen zugelassen.
Der für Tourismus zuständige Handels- und Industrieminister Om Pradhan formuliert die Politik, wie sie für alle wirtschaftliche Tätigkeit, auch die touristische, gilt: „Wenn wir eine Wahl treffen müssen zwischen ökonomischen Vorteilen und der Erhaltung unserer kulturellen und natürlichen Umwelt, dann fällt sie eindeutig auf das letztere.“ Der langjährige Außenminister des Landes, Dawa Tsering, erwähnt als abschreckendes Beispiel die Erfahrung bei den Dreharbeiten zum Film „Young Buddha“ von Bernardo Bertolucci. Die Regierung Bhutans hatte dafür ausnahmsweise Dreherlaubnis in einigen Klöstern und im festungsähnlichen Punakha-Dzong, der alten königlichen Winterresidenz in Zentralbhutan gegeben. „Nicht nur die Gebäude, sondern auch deren Bewohner wurden von den Filmcrews zu farbigen Statisten degradiert.“
Um Bhutan zu besuchen, braucht man ein gefülltes Portemonnaie – nicht unbedingt die besten Voraussetzungen für ein tiefes Verständnis der lokalen Kultur. Aber auch Bhutanesen, die mit dem westlichen Lebensstil vertraut sind, sehen durch die Restriktionen universelle Interessen vertreten. Lhendup Dorji, früherer Botschafter und Minister, verweist dabei auf den Widerspruch, in dem westliches Denken abläuft: „Jeder Reiseveranstalter im Westen preist seinen Kunden ,eines der letzten Paradiese dieser Welt‘ an – und trägt mit diesem Akt dazu bei, eben dieses Paradies zu zerstören.“
Für viele Bhutanesen ist Nepal, der westlich gelegene Nachbar, das nachdrücklichste Beispiel für ein Land, das während Jahrzehnten seine Naturschönheiten, seine Kultur und Gesellschaft dem Tourismus geöffnet hat und heute den Preis dafür bezahlt. Das Kathmandu-Tal ist eine der am stärksten verschmutzten Regionen der Welt geworden – in bezug auf Luft- und Wasserqualität ebenso wie auf den pflanzlichen und tierischen Artenbestand. Und selbst in den abgelegenen Tälern haben Überbevölkerung und Tourismus eine Migrationsbewegung in die Städte ausgelöst. Ein abschreckendes Beispiel für das isolierte Bhutan. Bernhard Imhasly
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