Trick & Track

Mit allen Tricks umgehen die Privatsender die Werberichtlinien für Kindersendungen  ■ Von Ulla Küspert

Wenn die Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM) heute die Auslegung ihrer letztes Jahr erlassenen „Werberichtlinien“ verabschiedet, wird das sicher als Erfolg gefeiert werden.

Die durch den Erlaß untersagten Werbeunterbrechungen von Kindersendungen hätten schon jetzt abgenommen, lobt Wolfgang Thaenert, Direktor der Landesanstalt für privaten Rundfunk Hessen (LPR), die Wirkung der neuen Regelung. Und in der Tat unterbricht gegenwärtig nur der Münchner Kirch-Kanal Pro 7 auch die klar auf die Jüngsten zielenden Trickfilme und Serien wie „Police Academy“, „Tiny Toon“ oder „Familie Feuerstein“ durch Reklameinseln. Gerichtliche Eilverfahren, mit denen die zuständige Kieler Medienanstalt ULR dies unterbinden wollte, liefen ins Leere: Pro 7, bei Kindern der zweitbeliebteste Sender, behauptet, es handele sich um Familienprogramm, da ja auch Erwachsene zuschauten. „Kindersendungen“, so Pro 7- Sprecherin Angelika Cyllok, „haben wir gar nicht.“

Nur in Einzelfällen kam es bisher zum Vergleich. Pro 7 wollte sich lieber vom Münchner Institut Jugend Film Fernsehen (JFF) bescheinigen lassen, daß Zeichentrickfilme ein allgemeines Genre und nicht per se Kinderunterhaltung sind. Davon erhofft sich der Sender einen Freibrief – auch in bezug auf den Dauerbrenner „Feuerstein“. Über die Definition dieser Uraltserie streitet Pro 7 weiterhin, obgleich die Steinzeitamerikaner auch bei Erzkonkurrent RTL als Kindersendung gezeigt werden. Die JFF-Studie liegt seit Ende März vor, wie Pro 7-Medienspezi Gerhard Graf bestätigt, bleibt aber in der Schublade.

Während Mediendirektor Thaenert die Mühen der Kontrollanstalten um das Wohlergehen unserer Jüngsten erläutert, prasseln aber auch aus dem von ihm selbst kontrollierten Privatkanal RTL 2 im 20-Minuten-Takt dutzendweise Werbespots auf die Fernsehkinder ein. RTL 2, seit März letzten Jahres auf Sendung, verweist stolz auf 80 Millionen Mark Werbeumsatz im Rumpfjahr '93. Für 1994 rechnet man mit einer Verdreifachung. Größte Zuschauergruppe des Senders: Kinder von 6 bis 13.

Schon jetzt macht jedes zweite Kind wochentags die „Glotze“ bereits vor der Schule an, drei von fünf entscheiden allein, was sie ansehen (Didaktik-Professer Werner Glogauer, Universität Augsburg). Am Wochenende, wenn die meisten Privatsender und neuerdings auch die ARD in den frühen Morgenstunden ihr Programm auf die Jüngsten zuschneiden, sind es sogar 93 Prozent (Forsa-Institut).

Mit dem Unterbrecherverbot der „Werberichtlinien“ sollte der Wildwuchs von Konsumreklame immerhin zurückgestutzt werden. Nicht wenige – die bayerischen Grünen genauso wie die Junge Union, der Deutsche Kinderschutzbund oder der Düsseldorfer Sozialminister Franz Müntefering (SPD) – fordern aber ein generelles Werbeverbot im gesamten Umfeld von Kindersendungen.

TV-Veranstalter und Werbestrategen jaulen angesichts dieser Vostellung von Jugendschutz auf. Der Verband der Kommerzkanäle, VPRT, zeichnete des Horrorszenario von der „existentiellen Bedrohung“ seiner Zunft, weil sie Einbußen von nahezu zwei Milliarden Mark gewärtigen müßte. Und der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft ZAW, engster Bündnispartner der Privaten, wetterte: „Zensur! Solche Vorschriften sind lupenreiner Dirigismus.“

Aber die Angst der Macher vor ihren Kontrolleuren scheint sowieso verfrüht: Zwar hatte Wolfgang Schneider, seinerzeit Vormann im DLM-„Arbeitskreis Werbung“, getönt, es müsse nun durchgegriffen werden. Und auch CDU-Jugendministerin Angela Merkel drohte den Privatsendern noch im November Bußgelder an, „die in ihrer Höhe dem Wert von Werbeeinnahmen entsprechen“. Doch das war alles nur heiße Luft. Merkel, die ihre Machtworte auf eine vieldeutig interpretierbare Studie namens „Kinder und Werbung“ des Bielefelder Medienpädagogik-Professors Dieter Baacke gestützt hatte, machte erstmal weiteren Forschungsbedarf aus. Aufträge wurden allerdings keine vergeben.

Man habe sich eben „erst selbst Problembewußtsein aneignen müssen“, rechtfertigt Reiner Smits, Mit-Urheber der DLM- Werberichtlinien, die Zögerlichkeit der Medienanstalten. Lange dichteten die Kontrolleure an der Interpretation ihres eigenen Erlasses herum: Aus „Jede Programmsparte kann eine Kindersendung sein“ wurde zum Beispiel „Kindersendungen sind in jedem Programmgenre möglich“. Daß „eine einheitliche Kindersendung“ (die werbefrei bleiben müßte) „nicht vorliegt, wenn die verbindenden Elemente als eigenständige Sendungen zu qualifizieren sind“, stand auch schon vorher in Thaenerts Papier – quasi als Geheimtip. Dem Wink mit dem Zaunpfahl wollte Pro 7 partout nicht folgen. Man kippte den Binde-Clip „Trick 7“ gleich ganz. Das kam billiger.

Die Schaffung „künstlicher Freiräume“ für Kinder hält RTL 2, so dessen Sprecher Schmidt, sowieso für „im Ansatz falsch und sinnlos. Werbung, auch im Fernsehen, ist ein gesellschaftliches Prinzip. Und daran muß man Kinder frühzeitig gewöhnen.“ Diese Werbe-„Wirklichkeit“ erzieht die Kleinen in erster Linie zum Konsumenten. Die 7 Millionen Kinder zwischen 6 und 13 verfügen über eine Kaufkraft von 16,9 Milliarden Mark aus Taschengeld, Geldgeschenken und Jobs. Und weil sie dank der Werbung „bereits in jüngsten Jahren Kaufverhalten und Markenwahl ihrer Eltern mitbestimmen“, wie Elisabeth Gottschaller vom Institut für Jugendforschung aus empirischen Studien weiß, bewegen sie tatsächlich noch weit größere Geldmengen.

Der Gebrauch elektronischer Medien ist für den Nachwuchs heute „von Geburt an“ selbstverständlich. Jedes dritte Kind besitzt einen eigenen Fernseher, der intensiv und meist unkontrolliert genutzt wird. Dabei inhalieren die Kids, je nach Programm, täglich gut und gerne 180 Werbespots. Die Konsumbotschaften vom dringend nötigen Barbie-Ballkleid oder der auf „Junior“ gestylten Dosensuppe werden vorzugsweise in beliebig portionierbare Zeichentrick- Meterware aus USA verpackt. An jedes Trick-Stückchen wird ein Vor- und Abspann gepappt. Denn wo nichts unterbrochen wird, ist die Reclamestrecke auch nicht als „Werbeinsel“ interpretierbar.

Selbst Identifikationsfiguren wie die Mäuseriche „Bino“ (Kabelkanal) oder „Vampy“ (RTL 2) – eigentlich reine Verbindungselemente – sind jetzt extrem auf „Eigenständigkeit“ getrimmt. Da erscheint dann „Vampy“ nach einem Werbeblock à 13 Spots und will endlich mal wissen, warum eine leere Flasche im Wasser nicht untergeht. Aber nach drei Minuten muß Schluß sein mit dem Experiment. Abspann. Bild frei für die nächsten Spots.

„Seit Bestehen der Richtlinien“, versichert Metty Krings, Moderator diverser RTL-Kindershows, „haben wir keine Kindersendung um eine Werbeinsel herum gelegt.“ Dafür hagelt es nun zwischen Li-la-Launebär und Hanna-Barbera-Glibberschlachten Werbeblöcke, daß es nur so brummt.