: West goes East - Vorurteile gegen West-Ost-Wissenschaftler -betr.: Richtigstellungen tzu "Die Hälfte der Ostler sind Westler", taz vom 6.6.94
Betr.: Richtigstellungen zu „Die Hälfte der Ostler sind Westler“, taz 6.6. 94
Bei allem Verständnis für redaktionelle Fehler, die sich bei jeder Zeitung einschleichen können, gibt es Dinge, die sich eine Zeitung einfach nicht leisten darf. Zunächst einige Richtigstellungen: 1. Die Veranstaltung „Die ostdeutsche Wissenschaftslandschaft im Umbruch“ war nicht das Ende einer Tagung, sondern das Ende einer mehrmonatigen Veranstaltungs-reihe des Instituts für kulturwissenschaftliche Deutschlandstudien unter dem Titel: West goes East - Expeditionen ins andere Deutschland. Aus diesem Grund waren auch bewußt keine ostdeutschen Wissenschaftler eingeladen, sondern solche, die vom Westen in den Osten gegangen sind und dort neue Erfahrungen gemacht haben. 2. Bei der angeblich „einzigen Ostdeutschen“ und angeblichen „Alibifrau“, lt. taz-Artikel „ehemalige Studentin von Herrn Lämmert aus Halle“, handelte es sich um die Konrektorin der Bremer Universität, Frau Prof. Helga Gallas, die stellvertretend für den erkrankten Rektor die Begrüßung der Gäste vorgenommen hat und dabei erwähnte, daß sie aus Halle kommt, d.h. dort geboren ist, und früher bei Prof. Lämmert (vormals Rektor der FU Berlin) studiert hat. Hat eure Journalistin nicht hingehört? (...)
Die These von der „Kolonialisierung des Ostens durch den Westen“ haben alle drei Referenten gleichermaßen ins Reich der Fabel verwiesen. Gleichwohl übten sie Kritik an der Art und Weise, in der die Umgestaltung der ostdeutschen Wissenschaftslandschaft betrieben wurde. Der emeritierte Germanistikprofessor Eberhard Lämmert, der für den Wissenschaftsrat an der Evaluation der Germanistischen Institute im Osten teilgenommen hatte, kritisierte z.B. die Tatsache, daß der Umstrukturierungsprozeß zwar in vielen Fällen von den Altbundesländern gesteuert wurde, diese gleichzeitig aber nicht bereit waren, dafür einen angemessenen finanziellen Beitrag zu leisten. Der Historiker Lutz Niethammer von der Universität Jena wies darauf hin, daß die Übernahme des etablierten westdeutschen „Beamtenrechts“ und die fehlende wissenschaftliche Schwerpunktsetzung ein Hemmschuh für innovative Entwicklungen im Osten gewesen seien. Zugleich konstatierte er, daß viele ostdeutsche StudentInnen mit den „Zumutungen des Individualismus“ nicht zurechtkommen und geradezu eine Sehnsucht nach „Regulierung“ spürbar sei. Vor diesem Hintergrund drohe sogar manchmal der Rückfall in eine männlich dominierte Ordinarien-Universität. Der Soziologe Karl-Siegbert Rehberg von der TU Dresden schließlich stellte Tendenzen eines „Leidenshegelianismus“ unter ostdeutschen Kolleginnen und Kollegen fest (nach dem Motto: Der Staat ist vernünftig und wird es schon richten) und beklagte die Gefahr einer Wiederholung der „Tragödie des stagnativen Fortschritts“, den man auch vom westdeutschen Universitätsbetrieb kenne. Positiv seien dagegen Spielräume für Experimente, die sich aufgrund einer Situation des Neuanfangs dennoch ergeben würden. Unter dem Strich zeichneten alle drei ein offenes, noch nicht abgeschlossenes Bild des Umbaus der ostdeutschen Wissenschaftslandschaft und plädieren für eine sehr vorsichtige Beurteilung der gegenwärtigen Entwicklung, die durch große regionale und lokale Unterschiede geprägt sei.
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