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Die Info-Illusion

■ Die Reportagemagazine der Privaten im Wochentest

Sie sehen aus wie das BKA-Sondereinsatzkommando „Alltagskriminalität“, die „Reporter“ von Pro 7, die für den Münchner Privatsender allwöchentlich auf Investigativpirsch gehen. Ermitteln sie etwa verdeckt in der Solinger Kampfsport-Szene? Erklimmen sie vielleicht des Nächtens dunkle Bunkermauern, knacken zum Wohle der Demokratie den Aktenschrank der Deutschen Bank und lassen sich durch nichts und niemanden davon abhalten, dem flüchtigen Schneider auf den Fersen zu bleiben? Mitnichten: Wie der Hund, der die Witterung einer Wurst aufgenommen hat, schnüffelt das Privatfernsehen vor allem einem hinterher: dem Zuschauer.

Denn was in den reißerischen Trailern als investigativer Journalismus vermarktet wird, enthüllt sich bei näherer Betrachtung als Potpourri aus Sex & Crime. Schamlos griffen in der letzten Woche die Reportagemagazine der Privaten wie „Reporter“ (Pro 7), „24 Stunden“ (Sat.1) oder „Exclusiv – die Reportage“ (RTL 2) ihre Themen nach den Kriterien des Boulevardjournalismus auf: Stars, Sex und Affären aller Art. Längst wurden die beiden politisch motivierten Formate („Zeitpunkt“, Vox, und „akut“, Sat.1) abgewickelt. Nun gibt es geheime Emotionen pur, gevierteilt in kleine Magazinbeiträge. Da setzen sich die „Reporter“ zunächst zu dem „Playmate des Jahres“ und ihren Eltern auf die Couch. Dann geht es, husch, husch, weiter nach Frankfurt, wo die „Samariter- Freier“ des Bahnhofsviertels erzählen, wie sie Junkiefrauen emotional ausbeuten. Und schließlich öffnet noch ein Berliner S/M-Club freizügig seine Pforten. War der gut abgehangene Herr in Ketten tatsächlich der Reporter auf Investigativ-Trip?

Schnelle Info-Kicks bietet auch der letzte Pro 7-Beitrag über das „Chicago-Syndrom“: Munter prügeln deutsche Polizeischläger während der Dienstzeit auf ihre Opfer ein. Die Bilder sollen Schrecken machen, und tun es auch. Kommentiert wird bei den „Reportern“ nur, wenn das Zeigen der spektakulären Bilder irgendwie gerechtfertigt werden muß. Ansonsten gilt auch zum Thema Jugendkriminalität die bayerische Linie: „Ein Schnupperwochenende im Jugendknast wirkt ganz gut.“ Infos über Trends, Hintergründe, Fakten sucht man hier vergebens. Aufgestylte, nachgestellte Szenen überlagern flüchtig eingestreute Aussagen. Wenn überhaupt, dann menschelt es in den Kommentaren fahrlässig oberflächlich – wie in der Ansage zu den Cop-Chaoten: „Sie sind schlecht bezahlt, müssen ihre Köpfe hinhalten“, wird uns erzählt, „da kann man verstehen, wenn sie mal ausrasten.“ Kann man wirklich?

Ganz anders fallen die Rechercheergebnisse bei der Suche nach dem Zuschauergeschmack für „Exklusiv – die Reportage“ (RTL 2) aus. Hier berichten keine Geldwäscher von ihren kriminellen Machenschaften, sondern geplagte Zeitgeister von ihren Wehwehchen. Letzte Woche scheiterte exklusiv für RTL 2 ein Mißwahl- Girl aus den USA an der Qualifikation. Diesen Mittwoch darf Howard Carpendale seine sängerischen Befindlichkeiten herausträllern. Zwei Monate Recherche gingen allein für eine Reportage über Discos drauf. Die sind, so will uns der Beitrag reportieren, was wir selbst nicht wissen könnten, laute Drogenumschlagplätze, auf denen sich die verschiedensten „Disco- Typen“ tummeln. Aha?

Besonders trostlos aber geriert sich im Kampf um die gebrochenen News die Sat.1-„24 Stunden“- Reportage. Anders als der Titel verspricht, reicht hier die Zeit nur noch für die „hit & run“-Kamera- Attacke. Wirklich ist, was gerade vor die Linse läuft. Ohne irgendeine kritische Idee filmten die Reporter vergangene Woche italienische Exorzisten bei ihren Riten. Statt das Gezeigte kritisch zu gewichten, belassen es die Reporter wieder beim puren Spektakel: Eine nie selbst befragte junge Frau zuckt schreiend unter den Händen des Dämonenjägers und ihrer Angehörigen. Wie kam sie dort hin, was bewegt sie zu ihrem Tun? Eine teuflische, weil menschenverachtende Ausbeute, diese Bilder.

Wer an Information oder gar Wirklichkeit interessiert ist, kommt bei den Reportagen der Privaten keinesfalls auf seine Kosten. Was zählt, sind die sensationsgeilen Bilder. Je schmuddeliger, desto erfolgreicher. Während „24 Stunden“ normalerweise auf 16,8 Prozent Marktanteil kommt, stoßen Berichte über „die Porno- Profis“ oder „neue Lust aufs Laster“ tatsächlich auf über 27 Prozent Sehbeteiligung vor. Wie effektiv Affekte im Kommerz-TV sein können, stellten „die Reporter“ mit einer Reihe über Sextourismus unter Beweis. Scharfe Bilder, damit die Zuschauer auch den letzten Werbeblock geduldig dranbleiben. Verkauft wird das Spannerpaket der Erotik-Exotik natürlich mit kritischer Miene: Man wolle „die Situation der Frauen dokumentieren und die Beweggründe der Sextouristen zeigen“, meinte Pro 7-Chefredakteur Jörg van Hoven. Die auch von ihm vielzitierte Informationsoffensive der Privaten – eine Illusion. Dieter Deul

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