: „Revoluzzer-Bladdl“
Eine neue Generation von Fußball-Fanzines: Mit Pop und Politik gegen Rassismus und Kommerz ■ Von Christoph Biermann
Berlin (taz) – Das hatte sich Karl-Heinz Wildmoser, der schwergewichtige Präsident von München 1860, anders vorgestellt. Als die Macher des Fanzines Löwenzahn ihn um ein Interview baten, dachte er wohl, das Treffen mit der Routine des Fußball-Populisten abwickeln zu können. Sich ein wenig auf die Schultern patschen und die beliebten Fans-und-Präsident-Seite-an-Seite-Fotos machen lassen, danach mit Pseudo-Insider- Informationen Verbundenheit simulieren, das müßte reichen.
„Der war ziemlich erstaunt, daß wir nicht die Kameras gezückt haben oder mit ihm über Personalpolitik sprechen wollten“, sagte Florian Schneider, einer der Macher von Löwenzahn. Statt dessen wollten sie mit dem just ins Oberhaus aufgestiegenen Fußballboss über die Umbaupläne fürs Stadion an der Grünwalder Straße und den Erhalt von Stehplätzen reden. Außerdem setzten sie mögliche Maßnahmen gegen Rassismus im Stadion auf die Tagesordnung und wollten Wildmoser davon überzeugen, sich gegen die Verlegung von Spielen auf den Montagabend zu stellen. Diesen Termin nämlich hat sich Leo Kirchs Deutsches Sport-Fernsehen (DSF) für die Liveübertragung von Zweitligaspielen gesichert. Mit der Folge, daß es viele Anhänger des Ex- Zweitligisten aus dem Umland an solchen Tagen nicht mehr zu den Spielen schaffen.
Eine neue Art von Fans präsentiert sich seit einiger Zeit nicht nur dem Präsidenten von München 1860. In Deutschland folgten nach Hoyerswerda, Rostock und Solingen vielerorts Bekenntnisse „gegen Rechts“ im Stadion. Zu „Keinen Ballbreit den Faschisten“ kam dann über fußballpolitische Themen wie Stadionumbauten oder Interventionen des Fernsehens bald auch die Idee, eine eigene Zeitung zu starten. Anders als die Fanzines alter Schule interessieren sich die Blätter der neuen Generation weder für das Getümmel der Hooligan-Schlachten, wie der notorische Fan-Treff, noch berichten sie allein von stoisch heruntergerissenen Fußballfahrten durch die Republik. Reiselyrik im Stil von „schon am Kamener Kreuz hatte man eine Palette köstlichen Biers weggeschlürft“, findet man in den neuen Fanzines wie Löwenzahn, Schalker unser, Hennes (Köln), Come Back (Düsseldorf), Vfoul (Bochum) nicht. Sie und die Vordenker Übersteiger und Unhaltbar (beide St. Pauli) entwerfen ein neues Konzept der Selbstinszenierung von Fußballfans.
Verkaufen die meisten dieser Fanzines zwischen 1.000 und 3.500 Hefte pro Ausgabe, ist der Löwenzahn mit 12.000 frei verteilten Heften „ein wirklicher Faktor im Stadion“, wie Florian Schneider meint.
Dabei wußten die Macher des Fanzines bei ihrer ersten Nummer im Dezember letzten Jahres die möglichen Reaktionen überhaupt nicht einzuschätzen. „Entscheidend waren die Briefe“, sagt Volker Goll, Redaktionsmitglied aus dem fernen Hanau. Über 80 Leser gratulierten uns zur ersten Ausgabe. Erstaunlich viele Absender wollten die Macher des Blatts kennenlernen, mit ihnen im Stadion zusammenstehen, um Fußball anders zu erleben.
Der Fanzine-Mix aus Pop und Politik ist beim Löwenzahn schon am Personal abzulesen. Filmstudent Florian und Drucker Volker lernten sich am Bauzaun in Wackersdorf kennen. Andere Redaktionsmitglieder kommen eher aus dem Staate Pop und haben an expliziten politischen Äußerungen kein Interesse. Die Verbindungen zur Popkultur sind auch in anderen Fanzines offensichtlich. Im Düsseldorfer Come Back unterstützt man ein Fußballturnier lokaler Bands, weil dort „die beiden wichtigsten Dinge der Welt – Musik und Fußball“ zusammenkommen. Und im Kölner Hennes hört man HipHop, weshalb ein Kicker schon mal „in full effect“ sein darf. Und anhand des Trikots wird Selbstkritik geübt.
Die neuen Fanzines reflektieren ein verändertes Interesse an Fußball, das man behelfsmäßig vielleicht als „Spaßwahn mit Attitüde“ beschreiben kann.
So unterschiedlich die Artikulationsformen sind, der Grundkonsens gegen Nationalismus und Rassismus sowie gegen die Kommerzialisierung des Fußballs eint sie doch. In den Chefetagen des Fußballs ist das, vom FC St. Pauli abgesehen, noch nicht richtig verarbeitet worden. Auch Karl-Heinz Wildmoser wollte sich zu konkreten Zugeständnissen nicht hinreißen lassen. Zum Schluß des dreistündigen Gesprächs mit der Löwenzahn-Redaktion bemerkte er indes nicht ohne Sympathie: „Oa rechtes Revoluzzer-Bladdl seid's schoa.“
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