piwik no script img

Vom Bremer Filzkammer-Wesen

■ Wirtschaftskammer kostet 1 Million Mark im Jahr

Bremen hat nicht nur mehr Schulden als andere Bundesländer, Bremen leistet sich auch mehr Kammern. Die Spitze des Kammer-Wesens in jeder Hinsicht: die Wirtschaftskammer. Hin und wieder gibt es eine Stellungnahme, die oftmals wie eine abgeschwächte Stellungnahme der Handelskammer erscheint, manchmal gibt es eine Vortragsveranstaltung - nur Insider wissen überhaupt, daß es so etwas wie die „Wirtschaftskammer“ geben soll. Ihre offiziellen Mitglieder, Gewerkschaften und Handelskammer, geben keinen Pfennig dafür, alles ist für sie umsonst. Im bremischen Landeshaushalt beziffert sich der Posten „Wirtschaftskammer“ dafür inzwischen auf 1 Million Mark. Denn neben Sekretariat und Mitarbeiterinnen leistet sich die Wirtschaftskammer auf Kosten des Staatsetats zwei gut dotierte Geschäftsführer, Beamtenstellen nach B3 besoldet (12-14.000 Mark). Mit dem einen Posten haben die SPD und Gewerkschaften ihren Richard Skribelka, den früheren DGB-Vorsitzendern Bremerhaven, jetztigen SPD-Fraktionsvorsitzenden, abgesichert. Der Arbeitgeber-Posten ist seit August 1993 vakant.

Fragt sich natürlich, warum das kleine Bremen neben Handwerkskammer und Handelskammer und Arbeiter- und Angestelltenkammer auch eine „Wirtschaftskammer“ braucht. Braucht Bremen nicht, sagt die FDP seit Jahren. Ist „historisch überholt“, sagen die Grünen. Ihre 1947 formulierte gesetzliche Aufgabe, „das Gesamtinteresse der Wirtschaft zu vertreten“, ist „nie erfüllt worden“, sagt die CDU, Diskussionen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern könne man auch ohne hauptamtlichen Apparat und Geschäftsführer führen. Die Handelskammer Bremen hält sich zurück, obwohl sie Träger der Wirtschaftskammer ist und einen hauptamtlichen Geschäftsführer stellen darf: sie habe sich bisher „nicht an der öffentlichen Diskussion über den Nutzen der Kammer und deren mögliche Auflösung beteiligt“. Der Vertreter der Handelskammer Bremerhaven, Hübenthal, wurde bei einer internen Anhörung noch deutlicher: „Für Abstimmungen zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite (sei) eine Wirtschaftskammer nicht unbedingt erforderlich“, meinte er. Warum auch. Der derzeit von der Seite der Handelskammer aus amtierende (stellv.) Geschäftsführer, Dr. Porschen, auf die Frage, wie oft er denn so zu seiner Wirtschaftskammer rüber auf Termin mÜsse: „Einmal im Monat, mindestens.“

Die einzigen, die an der Institution in ihrer heutigen Form festhalten wollen, sind die Vertreter der Wirtschaftskammer selbst. Begründung: „In den Gremien der Wirtschaftskammer tätige Unternehmer und Arbeitnehmer haben nachweislich zur Konsensbildung über das Sanierungsprogramm und den erforderlichen Eigenbeitrag des Landes erheblich beigetragen.“ Punkt. Ende der Begründung.

Detmar Leo, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD, findet, daß ihre Aufgaben sogar noch ausgeweitet werden müßten und verweist zur Begründung auf die DGB-Stellungnahme. Die DGB-Vorsitzende Helga Ziegert und ihre Bremerhavener Kollege Johann Lüdemann haben die längste Begründung für die Existenz der Wirtschaftskammer geschrieben. Die sei, so die Gewerkschafter, „das einzige paritätisch besetzte, gesamtwirtschaftliche Mitbestimmungsorgan in der Bundesrepublik Deutschland“, 1971 habe der DGB Bundeswirtschafts- und Sozialräte der Länder und des Bundes gefordert, DGB Bremen und Bremerhaven einen „Strukturbeirat“. Gremien wie die Wirtschaftskammer sollten also ausgeweitet, nicht reduziert werden.

In der Ampel-Fraktionen kursiert ein Gesetzesentwurf der FDP, nach dem die hauptamtlichen Strukturen weitgehend reduziert und durch ehrenamtliche ersetzt werden sollten. Dagegen macht aber die Handelskammer geltend, sie sei nicht sicher, ob die Unternehmer in den diversen Gremien dann noch ehrenamtlich mitmachen würden, weil die Abschaffung der hauptamtlichen Geschäftsführer „den Nutzen der Wirtschaftskammer noch mehr in Frage zu stellen“ drohe.

Die Finanzierung ganz aus dem Staatshaushalt zu streichen und zu erklären, wer Interesse daran habe, der solle sie doch finanzieren, das geht nicht: Seit 1947 ist sie in Art. 46 der Landesverfassung gesichert. Als die FDP jüngst vorschlug, diese Verfassungsgarantie bei der anstehenden Verfassungsreform zu streichen, da stellte sich die SPD quer. K.W.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen