piwik no script img

Poker um Deutsche Waggonbau

Der niederländische Eisenbahner Begemann will den größten ostdeutschen Industriekonzern übernehmen / Treuhand verhandelt weiter  ■ Von Erwin Single

Berlin (taz) – „Es muß und wird eine Lösung geben.“ Mit dieser vieldeutigen Auskunft kommentierte die Deutsche Waggonbau (DWA) schon vor Wochen Gerüchte über die baldige Privatisierung des größten ostdeutschen Industriekonzerns. Der Schlüssel scheint nun gefunden: Der Schienenfahrzeughersteller soll mehrheitlich an die holländische Begemann-Gruppe verkauft werden. Darauf haben sich Treuhand und Begemann geeinigt, die Transaktion soll noch in diesem Jahr besiegelt werden. Die Begemann-Eisenbahner, zu denen die niederländische Holec Machines und Equipment, die belgischen Firmen Holec Belgium und Techno Assistance and Services sowie die Schweizer Vevey Technologies gehören, wollen 74,9 Prozent der DWA-Anteile übernehmen, der Rest bleibt vorerst in Treuhand-Besitz.

David schluckt Goliath – so könnte man den angeblich bevorstehenden Coup wohl am ehesten umschreiben. Begemann will die eigene Eisenbahn-Gruppe, die mit 1.200 Beschäftigten gerade einmal einen Umsatz von 300 Millionen holländischen Gulden (267 Mio. DM) erzielt, dem Riesen DWA eingliedern und die Anteile auf sie übertragen. Die Waggonbau, mit einer Kapazität von jährlich 4.800 Schienenfahrzeugen größer als alle westdeutschen Hersteller zusammen, beschäftigt rund 7.300 Mitarbeiter und schreibt als einziges Treuhand-Unternehmen schwarze Zahlen. In den neun DWA-Werken wurden 1993 bei einem Umsatz von 1,56 Milliarden Mark ein Gewinn von 20 Millionen erzielt.

Ob die nicht ganz alltägliche Übernahme auch tatsächlich stattfindet, das wissen wohl weder Treuhand noch Begemann selbst so genau. Von einem Erwerb könne noch nicht die Rede sein, hieß es denn auch in der Berliner Privatisierungszentrale, und auch die parallel weiterlaufenden Gespräche mit anderen Investoren würden durch den letter of intend rechtlich nicht behindert. Vielleicht wollen die Treuhänder auch nur den übrigen Interessenten etwas Dampf machen, ihre dürftigen Angebote etwas nachzubessern. Neben Begemann hatten Siemens, die aber nur mit 25 Prozent einsteigen wollen, die US-amerikanische Trinity-Gruppe sowie die französisch-britische Gruppe GEC Alsthom Kauf- oder Kooperationsabsichten bekundet. Mit GEC Alsthom werde allerdings nicht mehr verhandelt, erklärte Treuhandvize Hero Brahms gestern.

Der Breuel-Behörde geht es vor allem darum, die einzige ostdeutsche Industrieperle als Ganzes zu erhalten. Die Sache hat nur einen Haken: Die DWA hängt nach wie vor stark von russischen Aufträgen für Reisezugwagen ab; ein Drittel des Umsatzes wird über Hermes- Kredite finanziert. Die Lage wird kiritsch, denn in drei Jahren muß die DWA ohne Hermes lebensfähig sein. Offensichtlich will man sich bei der Treuhand nun endgültig Klarheit darüber verschaffen, ob die Kaufinteressenten ein tragfähiges Unternehmenskonzept vorlegen können. Platzt die Privatisierung, gibt es noch eine Alternative: Mit dem Engagement einiger Banken und einem auf Antriebstechnik und elektronische Steuerungen spezialisierten Partner ließe sich die DWA auch als eigenständiges Unternehmen an der Börse plazieren. Dann könnten die Waggonbauer gar den Markt aufrollen und die Konkurrenz das Fürchten lehren.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen