Atom-Krach im Norden

■ SPD-Landesregierungen streiten sich wegen Reparatur von Brunsbüttel und Krümmel Von Marco Carini

Atom-Zoff zwischen Kiel und Hamburg. „Ich weise die Zweifel von Herrn Elste entschieden zurück“, attackierte Schleswig-Holsteins Energieminister Claus Möller den Hamburger Parteifreund in ungewöhnlich scharfer Form. Er habe „berechtigte Zweifel“ daran, daß die Kieler Aufsichtsbehörde „ausschließlich sachgerecht prüft“, hatte sich der Chef der SPD-Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft, Günter Elste, zuvor über sein Leib-und Magenblatt „Bild“ auf Möller eingeschossen. Im Visier Elstes: die Sicherheitsauflagen des Kieler Energieministerium für die seit Monaten stillgelegten Atommeiler Brunsbüttel und Krümmel.

Nachdem der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Kieler Landtag, Gert Börnsen, Ende vergangener Woche den Hamburger Senat aufgefordert hatte, „auf die Hamburgischen Electricitätswerke einzuwirken, damit diese ihre ständige Polemik gegen die Energierpolitik einstellt“, setzte der Hamburger SPD-Rechtsausleger nun noch einen auf die HEW-Attacken drauf. Und um die große Koalition der Hamburger Atomlobbyisten voll zu machen, sprang dem SPD-Chef sogleich der CDU-Umweltexperte Roland Salchow zur Seite: Mit einer beherzten Aufforderung, die beiden „Riß-Reaktoren“ umgehend wieder in Betrieb zu nehmen.

Nur vom offiziell wichtigsten Hamburger Solisten war im Konzert der Atom-Streithähne kein einziger Ton zu hören: Der zwischen den Stühlen sitzende Hamburger Umweltsenator und HEW-Aufsichtsratvorsitzende Fritz Vahrenholt, eigentlicher Adressat der Börnsen-Bitte, duckte sich – mal wieder – weg. Im Kieler Energieministerium kritisiert man schon lange, daß der Hamburger Umweltsenator mehrere Einladungen Möllers ausgeschlagen hatte, mit ihm über die Kieler Sicherheitsauflagen für Brunsbüttel und Krümmel zu diskutieren.

Erst vor einer Woche hatten die HEW „ein politisches Signal“ aus Kiel herbeizureden versucht. Für die Erneuerung „reaktorferner austenitischer Rohrleitungen“ bekam der Brunsbütteler Atommeiler grünes Licht von der Kieler Aufsichtsbehörde. Doch da die Austauschmaßnahmen lediglich in einem Bereich des Reaktorwasserreinigungssystem begonnen werden dürfen, in dem keine Risse entdeckt worden waren, hielt sich die Freude der HEW in engen Grenzen.

Grünes Licht aus Kiel - doch bei der HEW hielt sich die Freude darüber in engen Grenzen

„Mit der Lösung der eigentlichen Rißproblematik hat das nichts zu tun“, betont denn auch der Büroleiter von Energieminister Möller, Sven Wacker. Im Klartext: Brunsbüttel bleibt weiter abgeschaltet.

Doch selbst wenn die Kernkraftwerksbetreiber die Rißprobleme in nächster Zeit lösen können: Im AKW Brunsbüttel häufen sich die Sicherheitsmängel und Schwachstellen. Deren Beseitigung hätte immense Kosten zur Folge. So kam es in der Vergangenheit wiederholt zu schweren Verformungen an Armaturen und Schrauben im Bereich der Isolationsventile.

Im Gegensatz zu Brunsbüttel ist in den baugleichen AKWs Phillippsburg und Isar der Austausch dieser Ventile bereits erfolgt. Denn um zu verhindern, daß nach Rohrbrüchen hochradioaktives Kühlwasser aus den Sicherheitsbehälter in die Umwelt tritt, müßen die Ventile einwandfrei schalten. Minister Claus Möller hat deshalb bereits angekündigt, auf dem Wechsel der acht Ventile vor einem Wiederanfahren Brunsbüttels zu bestehen.

Probleme dürften auf die HEW auch aufgrund neuer Erkenntnisse über die Auswirkungen von Erdbeben zukommen. Derzeit streiten Aufsichtsbehörde, HEW und verschiedene Gutachter heftig über die mögliche Intensität solcher Beben. Erste Hinweise deuten an, daß Kiel die Brunsbüttel-Betreiber am Ende anweisen wird, auch hier erhebliche Nachrüstungen vorzunehmen, um den tatsächlichen Anforderungen gewachsen zu sein. Fast jedes Rohr, jede Maschine und viele Aufhängungen müßten dann gegen Erd-Erschütterungen nachgerüstet werden. Kostenpunkt: ein dreistelliger Millionenbetrag.

Vorläufiger Endpunkt der Mängel-Liste ist das Druckabbausystem. Um in Brunsbüttel Kosten zu sparen wurde ein extrem kleiner Sicherheitsbehälter gewählt, dessen Volumen den bei einer Kernschmelze entstehenden Wasserdampf nicht aufnehmen kann. Um das Platzen des Behälters zu verhindern, muß ein Druckabbau über die Kondensationskammern erfolgen. Dem Kieler Energieministerium liegt nach Informationen der taz eine Experten-Studie vor, nach der dieses Druckabbausystem nicht allen möglichen Störfällen standhält. So würde der Bruch nur eines einzigen Kondensationsrohres den gesamten Druckabbau unmöglich machen und in kürzester Zeit zum Platzen des Sicherheitsbehälters führen. Das hieße: Super-GAU.

Da Umweltsenator Vahrenholt den Reaktor aber spätestens Anfang des nächsten Jahrzehnts endgültig vom Netz nehmen will, mehren sich auch innerhalb der HEW allmählich die Stimmen, die an der Wirtschaftlichkeit einer Runderneuerung des Auslaufmodells Zweifel hegen. Ein HEW-Mitarbeiter: „Statt ideologischer Atombefürwortung brauchen wir kühle Kosten-Nutzen-Kalküle“. Die aber könnten aus dem Kraftwerk schon bald ein Atommuseum machen.