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Cheergirls mit Bartstoppeln

■ Über die Erfolgs-Chancen für die 50 HamburgerInnen bei den „Gay Games“

„Startschuß vor, Startschuß vor, unsere einzige Jungfrau ist das Tor“, schreien vier Cheerleader mit überraschend stoppeligen Wangen am Sportplatz in der Snitgerreihe. Getigerte Miniröcke, hochtoupierte Perücken und natürlich raschelnde, gelb-braune Puschel tragen die Motivationstunten des einzigen schwulen Fußballteams in Hamburg. Und sie beherrschen nicht nur ein Repertoire an „Cheers“ und „Chants“, sondern vollführen neben dem Cheergirl-üblichen Gehopse sogar choreografische Übungen bis hin zum Pyramidenbau.

Wenn heute um 22 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit das WM-Fußballspiel Italien-Irland in New York angepfiffen wird, sind auch die Hamburger Cheertunten „in town“. Denn nur zwei Stunden später beginnt die Eröffnungszeremonie der vierten „Gay Games“ im Stadion der Columbia University: Fast 11.000 SportlerInnen – etwa so viele wie bei den olympischen Sommerspielen in Barcelona – aus 40 Nationen kommen für neun Tage zur alle vier Jahre stattfindenden schwul-lesbischen Olympiade zusammen, um sich in 31 Sportarten von Aerobic über Biliard und Leichtathletik bis hin zum Volleyball zu messen.

Auch wenn vereinzelt Spitzensportler wie der vierfache Olympiasieger Greg Lougans teilnehmen – die unter dem Motto „Unity 94“ stehenden Spiele sind eine Breitensportveranstaltung.

Insgesamt werden auch etwa 50 HamburgerInnen hinter der Sternenflagge des Europarats ins Stadion einlaufen, sämtlich in hanseatische Matrosenhemdchen gekleidet. Große Siegeschancen haben sie in keiner der Disziplinen, an denen sie teilnehmen. Weder die VolleyballerInnen oder Schwimmenden noch die BadmintonspielerInnen können mit den traditionell stärkeren AmerikanerInnen mithalten.

Eine Außenseiterchance könnte das Startschuß-Basketball-Team aus Hamburg haben. Es ist in Europa unter seinesgleichen ungeschlagen und hat sich taktisch geschickt in die unterste Spielklasse der „Gay Games“ eingetragen. Die Männer sind allerdings nicht ganz „unter sich“. Kerstin, die Schwester des Trainers, ist mit am Ball. Die einzige Frau der Startschuß-Delegation war von Anfang an mit im Team. Kein Problem in New York, denn die Games-Statuten lassen gemischte Teams in der Männerklasse zu.

Die Startschuß-Fußballer hoffen auf einen Platz unter den ersten fünf – und das nur, weil die starken Teams von der US-Westküste die Spiele wegen zu hoher Teilnahmegebühren boykottieren.

Als die Cheerboys im vorletzten Vorbereitungsspiel für die „Gay Games“ das Tor zur Jungfrau erklären, liegt ihr Team schon 1:3 gegen Inter Stadtpark zurück. Am Ende unterliegen sie, beziehungsweise ihre Mannen, mit 2:4. Kein gutes Zeichen für die zweitbeste von drei schwulen Fußballmannschaften der Republik – aber auch kein Beinbruch, qualfizieren müssen sie sich nicht, schon gar nicht gegen das heterosexuelle Stadtparkteam.

Denn neben sportlichem Ehrgeiz geht es den meisten TeilnehmerInnen bei den „Gay Games“ vor allen Dingen ums Dabeisein. Dazu kommt der Bekenntnischarakter der Spiele. Nicht zufällig enden die „Gay Games IV“ an einem Wochenende, an dem voraussichtlich die größe Schwulen- und Lesbendemo aller Zeiten in New York stattfinden wird – man rechnet mit 1,5 Millionen TeilnehmerInnen.

Werner Hinzpeter

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