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Poetinnen des Gräßlichen

■ Lesben und Schwule mit Behinderungen gründen eine Theatergruppe

„Bouffons“ sind die Poetinnen des Gräßlichen. Mißgestaltet, grotesk, magisch und hellseherisch, fröhlich und vulgär leben sie in einer Welt, in der alle Konventionen aufgehoben oder von ihnen umgekehrt werden. In Gruppen organisiert machen sie sich über die Welt und sich selbst lustig. So soll es denn wohl sein, sagten sich 24 Lesben und Schwule mit Behinderungen (überwiegend Lesben) und „besetzten“ im Juni für vier Tage das Waldschlößchen bei Göttingen. Eine Aktion mit großer Altersspanne: Die Älteste war 74, die Jüngste Anfang 20.

Freakig, bunt, ausgeflippt, andersrum, sollte dieses dritte Treffen sein. Das brauchte uns nicht zweimal gesagt werden. Wo doch schon unsere Erscheinung für sich sprach. Riesig, klein, mit den Ohren sehend, alt, jung, Amazonenhaft, majestätisch steif, mit ElektroRolli unterwegs, mit den Knien gehend... Wir hatten die Wahl zwischen zwei Gruppen. Einmal die MärchenGruppe mit Ursula Eggli aus Bern, die für ihre FreakGeschichten über die Schweiz hinaus bekannt ist. Und als zweite Krönung des Treffens arbeitete eine von uns zusammengestellte TheaterCrew mit dem Berliner Schauspieler und Pantomimen Peter Offermanns. Er stellte seine Arbeit mit und an den Bouffons vor. Diesen Begriff, der sich nicht eindeutig übersetzen läßt, kreierte der französische Theaterregisseur E. Jacques Lecoq.

Verschiedene Tanzelemente, Bewegungsabläufe, Geschichten und Mythen, beispielsweise aus der griechischen Mythologie, alten Indianertraditionen und modernes Theater fügt er zu etwas Neuem zusammen. Am besten noch ließe sich der Begriff Bouffon mit Narr, Aussätzigen, Verrückten beschreiben. Bouffons, kosmische Urwesen göttlich-tierischer Natur, halten durch ihr scheinbares AndersSein der hiesigen Gesellschaft einen Spiegel vor.

Lecoq rekurriert auch auf das Mittelalter, als je nach Lust und Laune der Obrigkeit WaldFrauen, Krüppel, Kranke, Hebammen mal als heilig und kraftspendend galten, mal als Abschaum der Gesellschaft und dementsprechend behandelt wurden. Über seine Arbeit schreibt Lecoq: „In den skurillen Gesängen, wilden Tänzen und obszönen Gesten, die die Wohlanständigkeit der Heuchler attackieren, vereinigen sich anarchistischer Spieltrieb und kathartisches Hohngelächter, das Ausdruck der Wut, Verzweiflung und Angst des einfachen Volkes ist.“

Lecoq verstand seine Arbeit auch als Ausdruck des Nichtfaßbaren, die Möglichkeit, mit der eigenen Körperlichkeit umgehen zu lernen. Mag der Körper noch so schief, krumm, kurz oder lang sein. Er versuchte auf spielerische Art, dem Körper Bewegung einzuhauchen, indem jede/r zu lernen beginnt, sich Raum zu verschaffen für die eigenen Möglichkeiten der „Fort“-Bewegung.

Die FreakShow im Waldschlößchen inspirierte eine Gruppe von Berliner KrüppelLesben, sich zusammenzutun, um in diesem Sinne Theater zu machen. Wir sind bereits mit einer TheaterBühne in Verbindung, um nach der SommerPause weiterzumachen. Die Gruppe ist übrigens auch für schwule Bouffons offen. Magda Franzke

Weitere Informationen über die Theatergruppe: MagdaLa, Telefon 625 68 39

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