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Hinter Hohenwutzen

An jedem Wochenende wiederholt sich die Szenerie: Da wo Deutschland nicht mehr weiter geht, wo es mit einem letzten Gurgeln im trüben Oderwasser versinkt, versuchen die Menschen massenhaft die Grenze zu überqueren. Durch abruptes Beschleunigen in der Höhe von Aldi-Märkten gelingt es, die Kinder abzulenken und die Tankanzeige auf Niveau zu bringen. Vollgetankt wird in Polen.

Und eingekauft! Die Behauptung des Marlboromanns „Für das Echte gibt es keinen Ersatz“ stimmt so ja heute nicht mehr. Auf dem Blechbudenmarkt gleich hinter Hohenwutzen wird jedem klar: Das Echte gibt es nur als Ersatz. Die mehrere Hektar großen Märkte, die sich sofort nach Öffnung neuer Grenzübergänge amöbenhaft ausdehnen, bestechen durch eine angenehme Atmosphäre zwischen fernöstlichem Basar und nahöstlichem Automafia-Gebrauchtwagenhandel. Hier gibt's nicht nur billige Zigaretten, Patchwork-Lederjacken, Büchsenfleisch und Sweatshirts mit der Aufschrift „I am The Boss“. Die Bedienung am Erfrischungsstand im Alu-Bistro trägt die im Ostblock immer noch beliebte transparentweiße, durchsichtige Acrylbluse. Meine Freundin ertappt mich beim Zählen der Blümchen in ihrem BH-Muster.

Und besonders reges Treiben herrscht — Klischee hin oder her — nun mal am Gartenzwerg- Stand. Die Zwerge wachsen in dem günstigen Klima sogar zu einer Größe von über einem Meter heran. Einige haben ganz harmlos eine Angelrute in der Hand, rauchen gemütlich Pfeife oder tragen frech einen Karl-Marx- Bart unter der grellroten Zipfelmütze. Erst bei genauerem Hinsehen scheint einer der Zwerge aus der Reihe zu tanzen: Er breitet seinen Mantel weit aus und zeigt uns stolz seinen offenen Hosenlatz. – Bloß bedeutungsmäßig ist diese Botschaft selbst für versierte Ethnographen nicht mehr so recht zu klären. Offenbar ein Grenzphänomen. Die Beamten drücken jedenfalls wie unabsichtlich ein Auge zu, als sie den Exhibitionisten auf dem Rücksitz unseres Autos entdecken. Andreas Becker

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