: Golden Girls in Britz
Frauengruppe „Offensives Altern“ plant generationsübergreifendes Selbsthilfe-Wohnprojekt / Abschluß vor 1996 nicht möglich ■ Von Sabine am Orde
Ihre Mutter hat über 20 Jahre bei ihr gelebt, das will sie ihren Kindern nicht zumuten. „Zuviel Nähe zur Familie ist auch nicht gut“, sagt Uscha Sadowski. Ein Altenheim kommt für die 68jährige, deren Mann kurz nach Geburt ihres Sohnes starb, nicht in Frage. Seniorenwohnungen findet sie zwar nicht schlecht, „aber dann ist man nur mit alten Menschen zusammen, und einer nach dem anderen stirbt“. Kein Kinderlärm, kein Hundegebell – die ehemalige Verkäuferin will es lebendiger. Sie will das Altwerden nicht passiv hinnehmen, sondern „offensiv altern“. Damit ist sie nicht allein: Immer mehr Frauen suchen auch im Alter nach Alternativen zum traditionellen Frauenleben.
28 von ihnen haben sich zum „Offensiven Altern“ zusammengetan und kämpfen mit ihrem Verein seit über zehn Jahren für ein generationsübergreifendes Frauenwohnprojekt, wie es sie in einigen wenigen westdeutschen Städten bereits gibt. Gegenseitige Unterstützung soll hier praktiziert werden. „Bei Bedarf gibt es Hilfe gleich nebenan: Wenn ich krank bin oder meine Nachbarin einen Babysitter braucht, müssen wir nicht erst jemanden rantelefonieren“, erklärt Uscha Sadowski den Reiz des Projekts. „Und bei Pflegefällen wollen wir mit einer Sozialstation zusammenarbeiten.“
Nach langem Suchen und zähen Verhandlungen schienen die Alt- Feministinnen vor drei Jahren am Ziel: Sie hatten das Angebot einer Wohnungsbaugesellschaft in der Tasche. „Eigentlich wollten wir in diesem Jahr schon einziehen.“ Uscha Sadowski lächelt halb optimistisch, halb verzagt: „Wenn nur dieser Bunker nicht wäre.“ Denn mitten auf dem Baugelände im Britzer Ortolanweg steht ein Zivilschutzbunker aus dem Zweiten Weltkrieg. Der war ursprünglich von der Planung, die neben dem Frauenprojekt eine ganze Siedlung umfaßt, ausgenommen. Doch dann hieß es, der bundeseigene Bunker sei verkäuflich. Die Baugenossenschaft bewarb sich um das Grundstück und wartet seit über einem Jahr auf eine Entscheidung aus Bonn. „Vorher können wir mit dem Bauen nicht anfangen“, sagt Hans-Jürgen Hermann, Geschäftsführer der Berliner „Bau- und Wohnungsgenossenschaft von 1892“.
„Brückenschlag“, das einzig vergleichbare Projekt in Berlin, hat dieses Problem nicht: Ihr neues Domizil in Mariendorf wird bereits umgebaut, im Januar ist Einzug. Auch hier entsteht ein generationsübergreifendes Selbsthilfe- Wohnprojekt, allerdings für Männer und Frauen.
Die „Offensiven Alten“ dagegen verlieren inzwischen die Geduld, ihre Gruppe bröckelt. „Zwei unserer Frauen sind bereits gestorben, eine ist abgesprungen, zwei andere mußten aus gesundheitlichen Gründen in Altenwohnungen ziehen“, sagt Uscha Sadowski betrübt. Doch 14 Frauen sind noch immer fest entschlossen, in den Ortolanweg einzuziehen. Die meisten sind in den 60ern, aber auch eine 80jährige ist dabei und drei alleinerziehende Mütter Anfang 30. Ganz so wie bei den „Golden Girls“ soll es in Britz aber nicht zugehen. Die Frauen haben sich gegen Wohngemeinschaften entschieden. „Viele von uns leben seit ein paar Jahren zum ersten Mal in ihrem Leben allein – und genießen das.“ 24 Wohneinheiten sind insgesamt geplant, meist rollstuhlgerechte Anderthalb-Zimmer-Wohnungen. Da Gemeinschaftsräume im sozialen Wohnungsbau nicht vorgesehen sind, verzichten die Frauen auf ihre Keller. In dem höher als gewöhnlich geplanten Sockelgeschoß soll ein Frauencafé entstehen, auch für die Frauen aus der Nachbarschaft. Hier wird dann der wöchentliche Gesprächskreis stattfinden, mit dem 1977 die Geschichte der Gruppe im Kreuzberger Frauenzentrum begann. Schönheitsideale und die Verinnerlichung männlicher Verhaltensweisen, feministische Theologie und islamischer Fundamentatalismus stehen bei diesen Treffen ebenso auf dem Programm wie Urlaubsdias und Bücherempfehlungen. Auch Kurse, von Töpferei bis Gymnastik, sind in den Gemeinschaftsräumen geplant. Abends können sich die Frauen hier zum Musikhören treffen, zum Lesen, Plauschen oder auch zum Fernsehen.
Ganz ohne Konflikte geht das natürlich nicht: Ängste vor zuviel Nähe müssen besprochen, Grundsatzfragen diskutiert werden: Dürfen Freunde übernachten, wann werden Söhne zu Männern und damit zu alt, um in einem Frauenprojekt zu leben? „Bisher haben wir immer eine Lösung gefunden, manchmal auch mit Hilfe von Supervision“, erzählt Uscha Sadowski. Sie hofft weiter auf baldigen Baubeginn. Zwei Jahre werden die „offensiven Alten“ sich mindestens noch gedulden müssen: Auch bei sofortiger Entscheidung in Bonn ist mit einem Einzug vor Sommer 96 nicht mehr zu rechnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen