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Spagat zwischen Hörsaal und Windeln

■ Studierende mit Kind haben an den Hochschulen einen schweren Stand / Ohne Betreuungseinrichtungen für die Kleinen ist das Unipensum kaum zu schaffen / Viele Eltern müssen das Studium abbrechen

Um am frühen Morgen wach zu werden, braucht Jana kein schrilles Weckerklingeln. „Punkt sieben ist für mich die Nacht vorbei, dann fängt meine kleine Laura lauthals an zu krähen.“ Jana ist Studentin am Fachbereich Ägyptologie an der Berliner Humboldt-Universität (HUB) und lebt seit einem Jahr mit ihrer Tochter zusammen. Allein.

Jeden Morgen das gleiche Ritual: Windeln wechseln, schnell den Brei auf dem Herd warm machen und noch ein wenig die bunten Bauklötzchen durch die Wohnung schieben. Zwei Stunden später bringt Jana ihre Tochter in die nahe gelegene Krippe und macht sich dann auf den Weg in die Uni. Bis zwei Uhr nachmittags kann sie den Vorlesungen lauschen, danach ist es Zeit, Laura wieder abzuholen.

So wie Jana geht es vielen Studierenden mit Kindern an den Berliner Hochschulen. An die 120.000 sind es in der gesamten Bundesrepublik, die den Spagat zwischen Hörsaal und Kinderzimmer versuchen. Dabei entfallen nur sechs Prozent auf die westlichen Bundesländer, im Osten sind es fast doppelt soviel. Studieren mit Kind bedeutet, wie eine Untersuchung des Studentenwerks feststellt, vor allem: chronischer Zeitmangel, ständig im Streß zu sein.

Spontan mal ein paar Wochen aussetzen, nächtelang durch die Kneipen und Partykeller zu ziehen oder einfach nur mal faul sein, ist für viele Mütter und Väter an den Universitäten dann nicht mehr drin. Dabei sind es vor allem die Studentinnen, die sich um die Erziehung ihrer Zöglinge kümmern müssen. Nur jede siebte Frau wird hierbei von ihrem männlichen Partner unterstützt. Fast die Hälfte aller studierenden Mütter gab an, daß sie täglich zwischen sieben und zwölf Stunden für ihre Kinder dasein müssen, zehn Prozent kümmerten sich sogar mehr als zwölf Stunden um ihre Zöglinge.

Auf die besondere Situation von Studentinnen mit Kindern sind die Berliner Hochschulen jedoch nicht eingestellt. Rosita Lohmann von der Psychologischen Beratungsstelle des Studentenwerks stellt fest: „Immer mehr betroffene Frauen kommen zu uns, da sie mit der extremen Belastung während des Studiums nicht klarkommen. Aber wir können da wenig Unterstützung bieten, denn für sie existiert, genau wie für die Behinderten, keine Lobby in der gegenwärtigen Hochschulpolitik.“ Studierende Mütter als Randgruppe?

Auch Jana, eingekeilt zwischen Bücherbergen und noch nicht zusammengelegter Kinderwäsche, meint: „Eigentlich ist es kaum möglich, zu studieren und gleichzeitig Kinder zu haben. Die Uni ist darauf überhaupt nicht eingestellt.“ Gab es in der DDR staatlich geförderte Erleichterungen bei der Studienorganisation, zum Beispiel durch ein breites Angebot an Betreuungseinrichtungen oder durch gezielte Förderung bei der Bewältigung des Studienpensums, ist davon kaum noch etwas übriggeblieben.

Eine Kinderbetreuung wird an den Hochschulen, bis auf wenige Selbsthilfeprojekte betroffener Mütter, nicht mehr angeboten. Auch in den Studien- und Prüfungsordnungen werden die Probleme der Betroffenen kaum berücksichtigt. Obligatorische Veranstaltungen finden immer häufiger als Abendveranstaltungen statt, zu einer Zeit, in der sich studierende Väter und Mütter zum großen Teil um ihre Kinder zu kümmern haben. Viele zu absolvierende Praktika kommen für die Eltern von vornherein nicht in Frage, weil eine Vollzeit-Anwesenheit verlangt wird. Und auch Fehlzeiten, durch die Krankheit von Kindern verursacht, werden in vielen Fachbereichen nicht als Entschuldigungsgrund anerkannt. Der neue Hochschulstrukturplan verschärft die Situation der studierenden Eltern noch zusätzlich. Denn die damit eingeführten Regelstudienzeiten werden die wenigsten einhalten können.

Die Gratwanderung, die die betroffenen Studentinnen und Studenten vollführen müssen, ist jedoch nicht nur durch organisatorische Probleme gekennzeichnet. Hinzu kommen für viele auch existentielle materielle Schwierigkeiten. Bei der Berechnung des Bafög beispielsweise, auf das vor allem die Ostfrauen angewiesen sind, wird ein Kind überhaupt nicht berücksichtigt. Dabei ist die finanzielle Belastung enorm. Denn nicht nur der eigene Unterhalt möchte gesichert sein, sondern auch der des Kindes.

Hinzu kommen Mehrkosten, etwa für die Betreuung der Kids oder für eine erforderliche größere Wohnung. Viele sind deshalb darauf angewiesen, nebenbei zu jobben. Gerade aber für Alleinerziehende ist das schwierig. Häufig sind sie deshalb genötigt, ihre Ersparnisse anzugreifen oder Schulden im Verwandten- oder Freundeskreis zu machen. Zeitmangel, Karriereknick, Geldnot – ein Teufelskreis, aus dem schwer zu entrinnen ist. Für viele bleibt nur der Ausweg, vorzeitig die Segel zu streichen. Die Zahl der Studienabbrüche studierender Mütter und Väter ist dann auch dreimal höher als bei ihren kinderlosen Kommilitonen.

Am ärgerlichsten findet Jana allerdings die deutliche Ignoranz, die ihrer Situation entgegengebracht wird. „Ständig bin ich einem Erklärungsdruck ausgesetzt. Als ich vor kurzem einem Prof klarmachen wollte, daß es mir nicht möglich ist, an einer abendlichen Pflichtvorlesung teilzunehmen, fragte der mich nur kurz: Und warum?, und grinste mich dabei schief an. Ist es denn so unnormal, als Studentin auch den Wunsch zu haben, ein Kind aufzuziehen?“ Anja Nitzsche

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