: Zeugen einer baulichen Deformation
Der Reichstagsumbau drängt: In der kommenden Woche wird der Ältestenrat des Bundestages über die Dachvarianten von Norman Foster entscheiden / Kuppel oder Leuchtturm ■ Von Rolf Lautenschläger
Christos ästhetische Überformung „The Wrapped Reichstag“ ist obsolet. Nach der schillernden Verpackung steht dem Gebäude nicht seine Neugeburt durch Enthüllung bevor, sondern die bauliche Renaissance seiner Vergangenheit. Gut anderthalb Jahre nach der Wettbewerbsentscheidung, das Reichstagsgebäude mittels einer modernen Architektursprache umzubauen, ist wenig von der Idee des englischen Architekten Norman Foster geblieben. Den Entwurf mit einem schwebenden Glasdach über dem Reichstagshimmel, das den Koloß zum Artefakt verfremdet, haben die nostalgischen Sehnsüchte nach der historischen Kuppel eingeholt.
Die Revision der Moderne fädelten die konservativen Kuppelfans mit Winkelzügen ein. Die Planungen und selbst der Architekt wurden ihren rückwärtsgewandten Phantasien geopfert. Der Entwurf, der dem Haus gleichsam seinen preußisch-nationalen Ballast nehmen sollte, wurde verwässert, umgedeutet und zurechtgeknetet. Heute, da der Architekt den Auftrag mit dem Hinweis anmahnt, daß bei weiteren Überarbeitungen das Gebäude zum Umzugstermin 1998 schlichtweg nicht fertiggestellt werden könne, werden die beiden letzten Varianten des Foster-Entwurfs – eine Kuppel und ein Glaszylinder in der Form eines Leuchtturms – atemlos zur letztendlichen Auswahl präsentiert. „Ich habe mit ziemlicher Massivität darauf gedrängt, daß die Einigung über den Dachausbau des Reichstags noch vor der Sommerpause fällt“, sagt Dietmar Kansy (CDU), Vorsitzender der Baukommission des Bundestages. Es müsse in der Sitzung des Ältestenrates am 30. Juni ein Votum entweder für die Kuppelform oder die sogenannte Leuchtturm-Variante geben, so Kansy. Eine erneute Verzögerung der Planungen käme einer „Katastrophe“ gleich, könnten doch die im Herbst gewählten Bundestagsmitglieder andere Planungswünsche aushecken. Der Umzug stände auf der Kippe.
Ob die beiden Varianten die richtigen sind, muß bezweifelt werden. Denn die Planungsergebnisse sind nur mehr Zeugen der Deformation der ursprünglichen Idee und ein liebloses Zugeständnis an die Begehrlichkeiten historischer Rekonstruktion. Die Sabotage des überdimensionalen Glasdachs begann schon bald nach seiner Präsentation als Ergebnis des Wettbewerbs 1993, den Foster vor Santiago Calatrava und Pi de Bruijn für sich entscheiden konnte. Als erstes Argument diente das Bild von der Wiederherstellung der „Berliner Kuppellandschaft“, das Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer nicht müde wurde auszumalen. Als anderer Kritikpunkt wurde das schwere Geschütz der zu hohen Kosten (1,2 Milliarden Mark) aufgefahren. Nach der Überarbeitung blieb von der kühnen Verfremdung ein winziges aufgestelztes, „nur“ 600 Millionen Mark teures „Luftkissen“ zurück, das wie ein Fremdkörper über der Reichstagsmitte schwebte.
Noch im Januar 1994 legte Foster einen weiteren Entwurf vor, den sogenannten „Kühlturm“, der nur wenig mit seinem Flachdach gemein hatte. Aus dem Reichstag ragt dabei ein begehbarer Kegelstumpf mit Restaurant, den einige Mitglieder des Bundesbauausschusses jedoch ablehnten. Auf Initiative des CDU-Nationalen Alfred Dregger sowie des früheren Bauministers Oskar Schneider (CSU) mußte Foster im April dieses Jahres eine erste Kuppel zeichnen, die die historische Form der wilhelminischen Pickelhaube zitiert. Zusätzlich präsentierte Foster noch weitere Vorentwürfe mit unterschiedlichen Dachaufbauten: Dazu gehörte ein mehrgeschossiger zylindrischer Aufbau von rund 20 Meter Höhe, der mit zwei übereinanderliegenden aerodynamischen Scheiben einer fliegenden Untertasse ähnlich sieht. Die Kuppel, so der Londoner Architekt, hätte den licht- und lüftungstechnischen Innovationen seiner Planung widersprochen. Die gewölbte Konstruktion streue nicht genug Licht in das Rund des tiefliegenden Plenarsaals und verhindere zudem die natürliche Klimatisierung.
Die energiesparenden und High-Tech-Besonderheiten des Aufbaus vom Modell „Untertasse“ brachte die Unions-Fraktion im Bundestag kurzzeitig von ihrem Kuppel-Syndrom ab. Noch Ende April votierten die Abgeordneten mehrheitlich gegen die konservativen Befürworter wilhelminischen Mummenschanzes. Eine Sachentscheidung über die endgültige Form des Daches vermieden die CDUler bewußt. „Die Fraktion“, so der baupolitische Referent bei den Christdemokraten, Vietz, „hielt sich damit die Option für einen Kuppelaufbau offen.“ Eine „Unsinnigkeit“, kritisiert Kansy heute seine Partei, da ein späterer Kuppelaufbau zusätzlich statische Probleme mit sich bringen würde.
Die Verabschiedung von der Kuppel hielt in der CDU keinen Monat. Für die „ältere Politikergeneration ist der Reichstag nur mit Kuppel vorstellbar“, erinnert sich Vietz an den neuerlichen Umschwung. Die Baukommission forderte im Mai 1994 Foster zu einer dritten Überarbeitung auf, wobei zwar nicht an eine bewußte Rekonstruktion der Wallotschen Eisen- und Glaskonstruktion gedacht wurde, aber eine Annäherung an das frühere architektonische Gesamtbild „denkbar ist“. Die Konzeption des Glaszylinders, so die Baukommission, sollte ebenfalls weiterentwickelt werden.
An sie klammert sich nun die letzte Hoffnung des Architekten, der Kuppelplanung zu entgehen. Zum einen lasse der zum Leuchtturm mutierte Glaszylinder die Sonneneinstrahlung durch Lichtumlenkung problemlos in die Raumtiefe führen, sagt Foster. Zum anderen garantiere nur diese Form die energiesparende Belüftung. Bei der starren Kuppelkonstruktion, für die Foster ein mächtiges Tragwerk-Netz entwickelt hat, bleibt die tatsächliche Lichtausbeute wieder gering. Auch bei der Außenwirkung der beiden untersuchten Varianten hält der Architekt zum gläsernen Zylinder. Foster: „Die Kuppel stellt die alten Symmetrien wieder her und legt einen deutlichen Akzent auf die restaurative Komponente des wilhelmischen Parlamentsgebäudes. Das neue Parlament hingegen sollte ein Zeichen schaffen, das Ausdruck des Neuanfangs ist.“
Schenkt man den Bau-Obmännern und -frauen im Bundestag Glauben, werden sich die Mitglieder des Ältestenrates dem Symbol für den Neuanfang widersetzen. Der Leuchtturm „gefällt einfach nicht“, räumt Uwe Lühr von der FDP-Fraktion ein. Die FDP werde einen „Tendenz-Beschluß“ für die Kuppellösung in die Sitzung des Ältestenrates einbringen und die traditionelle Lösung befürworten. Die modernistischen Vorstellungen Fosters, das Flachdach oder die Leuchtturm-Variante, schieden aus technischen Gründen aus. Diese „Tendenz“ herrscht auch in der CDU-Fraktion vor. Nach wie vor überzeuge der Zylinder nicht, sagt Vietz. Es komme darauf an, auch für die Kuppellösung lichttechnisch und klimatisch ein besseres Konzept zu entwickeln. Endgültig will sich die CDU-Fraktion am kommenden Dienstag beraten. Peter Conradi, SPD-Bau-Obmann, will dagegen dem Ältestenrat die „Leuchtturm-Variante“ andienen, da diese eine „moderne und intelligente Lösung“ sei, an die das Netzwerk und das flache Dach nicht heranreichten. Conradi: „Der Leuchtturm hält als einzige Variante dem Anspruch stand, einen Dialog zwischen dem Altbau und dem Neubau zu führen. Wer die Kuppel will, hätte sich beim Wettbewerb für Calatrava entscheiden müssen.“
Jede Entscheidung, ob die für den Leuchtturm, eine andere für die Kuppel oder gar für eine Wiederauflage des „Luftkissens“, reicht nicht an die ursprüngliche Wettbewerbsidee heran. Bietet diese doch ein Sinnbild für den Aufbruch. Die bauliche Chiffre sollte den Reichstagsbau mit einer zukünftigen Epoche konfrontieren und seiner „ängstigenden Monumentalität die einladende Wirkung von Licht, Offenheit und Transparenz entgegenhalten“, so die Vorstellung des Architekten.
Nur diese Überlegungen allein führten den politisch-künstlerischen Kommentar Christos nicht ad absurdum: Ein Kuppeldach erinnert an die Zeit, als der Reichstag im Schlagschatten der Mauer als Denkmal spezifisch deutscher Geschichte vor sich hindümpelte. Mit der Vereinigung beider Stadthälften aber hat sich der Kontext der Interpretation verkehrt. Das zwischen 1884 und 1894 von Paul Wallot geplante Gebäude, das nach dem Reichstagsbrand 1933 und seiner teilweisen Zerstörung im Zweiten Weltkrieg von Paul Baumgartens in den sechziger Jahren modernisiert wurde, kann jetzt nur als Zeichen der Zeitenwende gelesen werden. Die Verhüllung des Reichstages hätte als Symbol für die Verabschiedung der Scheinexistenz des Reichstags und für den parlamentarischen Neubeginn gelesen werden können. Die Rückkehr einer Kuppel aber knüpft nach dieser ästhetischen Zäsur wieder an die alte Geschichte an.
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