: Omnipräsenz der Machtverhältnisse
„Ich kann mir nicht den Luxus leisten, nur eine Form der Unterdrückung zu bekämpfen“ (Audre Lorde) / Die Gleichzeitigkeit von Diskriminierung und Dominanz und die „Anderen“ als Projektionsfläche für innere Konflikte ■ Von Birgit Rommelspacher
Rassismus, Sexismus und Heterosexismus und andere Formen der Unterdrückung, wie etwa die Ausgrenzung von Behinderten, haben offensichtlich gemeinsam, daß all die so diskriminierten Gruppen immer wieder Opfer brutaler Gewalt werden. Die Täter sind in erster Linie junge deutsche Männer, die auch in aller Öffentlichkeit glauben, demonstrieren zu können, wer ihrer Meinung nach zu diesem Land gehört, und wer hier das Sagen hat. Das heißt nun nicht, daß Unterdrückung mit dieser Gewalt gleichzusetzen wäre. Auch Frauen sind rassistisch und schwulenfeindlich, oder auch Schwarze sind sexistisch. Diskriminierung schließt Dominanz anderen gegenüber nicht aus, und Gewalt ist nur eine Form der Unterdrückung. Das heißt, hinter dem Bild des gewalttätigen Mannes verschwindet quasi das ganze Geflecht von Dominanzverhältnissen und die Vielfalt struktureller und alltäglicher Diskriminierung.
Schon allein am Beispiel verschiedener Rassismen zeigt sich, daß es jeweils um sehr unterschiedliche Macht- und Verteilungskämpfe geht. So ging und geht es zum Beispiel im kolonialen Rassismus primär um ökonomische Ausbeutung, die durch die Entwertung kolonial unterworfener Völker zu rechtfertigen versucht wurde. Im Antisemitismus hingegen geht es sehr viel mehr um die Frage kultureller Dominanz, da sich die christliche Kultur von Anfang an in ihrem Alleinvertretungsanspruch vom Judentum provoziert fühlte. Dementsprechend sind die jeweiligen Stereotype völlig unterschiedliche, so wenn der Jude für den Antisemiten als übermäßig reich, intelligent und mächtig gilt, wohingegen der Rassist den Schwarzen als primitiv und unzivilisiert bezeichnet. Wieder andere Bilder hat der antiislamische europäische Rassismus hervorgebracht, der aufgrund der Geschichte eines langen Kampfes um politische und kulturelle Hegemonie die Moslems vorzugsweise als blutrünstige Krieger zu beschreiben beliebt. In der Vielfalt dieser Bilder schlagen sich also die unterschiedlichen Dominanzansprüche und Bemächtigungsgeschichten nieder.
Um die innere Hierarchie der Gesellschaft hingegen geht es zum Beispiel beim Sexismus und Heterosexismus im Namen einer „natürlichen“ Ordnung. Dabei wird versucht, Frauen auf die unteren Ränge und Lesben und Schwule an den Rand der Gesellschaft zu drängen. Gleichzeitig wird in der Homophobie immer auch die Angst um die eigene, immer prekäre Geschlechtsidentität, ausagiert. Hier könnte man gewissermaßen von einer psychologischen Ausbeutung sprechen, in der das eigene Selbstbild über die Entwertung anderer stabilisiert werden soll.
Damit stoßen wir auf eine Gemeinsamkeit der verschiedenen Unterdrückungsformen: Immer werden andere zur Selbstaufwertung benutzt und bedrohliche, unbewußte Wünsche an ihnen ausagiert. Insofern hat zum Beispiel das Bild von „der“ Frau und „dem“ Schwarzen auch viele ähnliche Züge. Der/die Andere wird für die eigenen Interessen funktionalisiert und in diesem sehr abstrakten Sinn sind sich die verschiedenen Unterdrückungsformen gleich. Auf diese Gemeinsamkeit zielt auch die Theorie vom Sündenbock, die davon ausgeht, daß es letztendlich gleichgültig ist, wer diskriminiert wird, der/die „Andere“ ist ja nur Projektionsfläche für innere Konflikte. Dabei gerät jedoch die Beziehung zu dem „Anderen“ aus dem Blick. Wenn zum Beispiel deutsche Jugendliche gegenüber EinwanderInnen gewalttätig werden, hat das sicherlich auch mit ihren Problemen zu tun, gleichzeitig sind dies aber auch rassistische Gewaltakte, die die Beziehung zu den EinwanderInnen zerstören. Für die meisten Politiker, Wissenschaftler und Eltern liefert dies jedoch lediglich einen Anlaß, heftig über die Probleme „unserer“ Kinder nachzudenken und zugleich den Rassismus auszublenden. In dem Sinn werden die Minderheiten erneut funktionalisiert, nämlich jetzt, um sich selbst in seiner Problematik zu thematisieren. Das betrifft sogar auch wohlmeinende antirassistische Theorien, die die rassistische Gewalt zum Anlaß nehmen, den fortschreitenden Sozialabbau anzuprangern und deshalb für eine gerechtere Einkommens- und Sozialpolitik zu plädieren. Auch sie bleiben letztlich im Grundmuster des Rassismus befangen, die „Anderen“ für die eigenen Probleme zu funktionalisieren.
In solchen Theorien drückt sich auch eine totalisierende Selbstdarstellung der „Opfer“ aus. Opfer von Individualisierung, Opfer ökonomischer Ausbeutung, Opfer sexistischer Unterdrückung etc., ein solcher Opferstatus scheint eine Teilhabe an Macht generell auszuschließen. Der Entlastungsgewinn auf seiten der Opfer ist dabei unübersehbar.
Aber diese Sicht hat meines Erachtens noch einen anderen Hintergrund: Sie ist aus der Sicht der „Opfer“ auch Ausdruck einer umfassenden Präsenz von Diskriminierung. Das zeigte sich zum Beispiel in der neuen Frauenbewegung, in der immer deutlicher wurde, wie und wo Diskriminierungen greifen, ja daß unsere ganzen Lebensweisen und Denksysteme von Diskriminierungen durchdrungen sind, zum Beispiel in Form einer frauenverachtenden Sprache oder in einer Psychologie, die die Frau zum kranken Geschlecht erklärt. In der daraufhin von der Frauenbewegung entwickelten Gegenkultur etablierten sich aber neue normative Vorgaben.
Je umfassender der Anspruch auf eine widerständige Lebensweise, desto hermetischer grenzte sich diese Gegenkultur ab und verpflichtete auf ein neues Weiblichkeitskonzept, das aber in erster Linie die westliche, weiße Mittelschichtsfrau repräsentierte und damit viele andere Frauen ausschloß. Ebenso wie auch in der linken Theorie im Bild „des“ Arbeiters sich der männliche, leistungsfähige, einheimische Industriearbeiter ein Denkmal setzt und Frauen, Arbeitslose und Migranten zum Sonderfall entwertet. Diese Exklusivität drückt sich im übrigen auch in der Idee vom Haupt- und Nebenwiderspruch aus, die den eigenen Vorrang im Opferstatus zu behaupten versucht. Die Geschichte vom Hauptwiderspruch könnte nämlich zum Beispiel auch so erzählt werden, daß es den Arbeitern hier im Kampf um Arbeitsplätze und höhere Löhne vor allem um eine weitere Privilegierung gegenüber der vom Reichtum ausgeschlossenen Völker der sogenannten Dritten Welt geht. Oder aber daß die weißen Feministinnen im Kampf gegen Sexismus primär um eine verstärkte Teilhabe an der Herrschaft einer rassistischen Gesellschaft kämpfen. Je nach Perspektive treten also durchaus unterschiedliche Dimensionen hervor, die sich nicht aufeinander zurückführen lassen.
Diese Tatsache der Gleichzeitigkeit von Diskriminierung und Dominanz erfordert ein neues Konzept von Politik, das eben nicht einen Kampf „der“ Unterdrückten gegen „die“ Herrschenden propagiert, sondern das die Differenzen wahrnimmt und in wechselnden Koalitionen auf eine adäquate Repräsentanz und Partizipation aller dringt. Die Stärke einer solchen Politik liegt darin, für alle gleichermaßen ein Recht auf Partizipation in dieser Gesellschaft einzufordern gegen die Vertreter einer „natürlichen“ Ordnung, die doch immer nur diese privilegiert. Aber auch eine solche Politik wird es nicht verhindern können, daß letztlich jede Gruppe immer auch auf Kosten der anderen ihre Macht zu etablieren versucht.
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