Muß man das nicht verbieten?

■ Diskussion über „Auschwitz-Lüge“, Strafrecht und Meinungsfreiheit“

Neonazis ziehen mit dem abgewandelten Hitlergruß durch die Straßen und stellen lautstark und frech den Völkermord der Nazis an Juden, Sinti und Roma infrage. Deutsche Polizei, Behörden und Gerichte müssen die Aufmärsche genehmigen oder können die Geschichtsleugnung nur schwer verfolgen. Braucht es deshalb eine Verschärfung des Volksverhetzungs-Paragraphen 130 StGB, wie sie von der Bonner Koalition im Bundestag und von den SPD–Ländern im Bundesrat vorgebracht worden ist? Soll ein solches Gesetz die Leugnung des Völkermordes (die sogenannte „Auschwitz-Lüge“) ausdrücklich unter Strafe stellen? Zu dem Thema hat am Mittwoch die grüne Bürgerschaftsfraktion eine Anhörung orgnisiert: Thema: „Muß das nicht verboten werden?“

Seine Bauchschmerzen bei der Fragestellung gestand der grüne Abgeordnete Hermann Kuhn gleich zu Beginn: „Einerseits ist es für uns unerträglich, daß durch die Leugnung des Holocaust die Würde der Opfer und der Überlebenden verletzt wird. Aber gleichzeitig wissen wir, daß das Recht auf freie Meinungsäußerung eine Grundbedingung zur Entfaltung von Demokratie und Freiheit ist – auch dann, wenn uns das schwer erträglich erscheint. Wo muß sie ihre Grenze finden?“

Jedenfalls nicht in einem verschärften Gesetz, meinte der Hamburger Journalist Horst Meier. Er verwies auf die unheilvolle Geschichte des § 130, der noch bis 1960 die „Anreizung zum Klassenkampf“ unter Strafe stellte und als vordemokratischer Knüppel gegen die Arbeiterbewegung gebraucht wurde. Keinesfalls dürfe mit einer Gesetzesverschärfung ein „richtiges, vom Staat verwaltetes Geschichtsbild“ geschützt werden – schützenswert sei allein das Persönlichkeitsrecht der Opfer. Strafrecht sei kein Mittel zur Aufklärung, sondern zur Repression: „Wer das Problem an Richter und Staatsanwälte delegiert, hat den Kampf um die Erinnerung an die nationale Schande schon verloren.“

Aufklärung und politischer Kampf gegen Ursachen und Auswüchse des rechten Milieus müßten verstärkt werden, da war sich Podium und Publikum einig. Doch wo mit dem Strafrecht zulangen? Hans-Georg von Bock und Polach, Bremer Staatsanwalt, warnte vor dem Eindruck, es gebe viele Gesetzeslücken. In der Praxis gebe es bei der Strafverfolgung da Probleme, wo Gerichte eindeutige Straftatbestände (“Verwendung von Nazi-Symbolen“) mit „Sozialadäquanz“ verbinden: „Wenn jemand neben einem Polizisten den Arm zum deutschen Gruß hebt, muß der entscheiden, ob das nur eine Provokation ist (das ist straffrei), oder ob er das ernst meint (strafbar).“

Also reichen die bestehenden Gesetze aus, um den Lügen von rechts wirksam zu begegnen? Die Stimmen der Opfer des alten und neuen Nazi-Terrors waren da anderer Meinung: Karla Müller-Tupath von der Israelitischen Gemeinde im Lande Bremen meinte, bis zum Urteil des Bundesgerichtshofs zur „Auschwitz-Lüge“ im März 1994 hätten auch die Juden die Meinung vertreten, Gesetze müßten nur konsequent angewandt werden. Aber „wir haben unsere Meinung mehrheitlich geändert. Es dürfe nicht sein, daß der BGH die „Auschwitz-Lüge“ durch die Meinungsfreiheit gedeckt sehe. Das Urteil wertete sie als „geradezu eine Gebrauchsanweisung“ zur Beleidigung der Opfer. Für Ewald Hanstein vom Landesverband der deutschen Sinti und Roma ist die Leugnung des Völkermordes an 500.000 Sinti und Roma keine Sache von Rechtsextremen: „Die deutschen Behörden und Medien haben 40 Jahre lang den Völkermord verschwiegen.“

Gegen eine Änderung des Gesetzes sprach sich Bernd Asbrock, Richter am Landgericht Bremen, aus. Es gebe Defizite bei der Verfolgung von Straftätern und der Umsetzung der Gesetze, es fehle teilweise an Personal und Ausrüstung oder auch am Verfolgungswillen (“siehe die Magdeburger Krawalle“). Es dürfe aber nicht aus den Augen verloren werden, daß die Leugnung des Holocaust auch nach jetziger Rechtsprechung strafbar sei: das „einfache“ Leugnen als Beleidigung der Opfer, die von Amts wegen verfolgt werden müsse – die Leugnung mit Bekenntnis zum NS-Unrecht als Volksverhetzung.

Auch Strafverteidiger Gerd Basch warnte vor Gesetzesänderungen: Das Problem müsse politisch angegangen werden. Aber auch in Bremen stimmten die justizpolitischen Schwerpunkte nicht: „Wir haben eine Ermittlungsgruppe Doppelidentität, die sogenannten „Asylbetrügern“ den Garaus machen soll – also voll im Wind der Femdenfeindlichkeit.“ Dagegen gebe es eben keine Ermittlungsgruppe „Übergriffe gegen Asylbewerber.“

Die diskutierte Verschärfung der Gesetze sei letztlich „juristische Ersatzbefriedigung“, meinte Horst Meier. „Wenn die nächste Synagoge brennt, werden wir dastehen und fühlen, daß irgendetwas getan werden muß.“ Dieses „irgendetwas“ sollte aber nicht die Strafverschärfung sein, sondern „eine handfeste Politik, die das Klima gegenüber Minderheiten und Ausländern positiv wendet.“ Bernhard Pötter