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Lolitas Angst ums Gemächte

Das Fernsehen bezahlt den Sport nicht nur, es verändert ihn brutal: Franzi van Almsick soll in lila Wasser kraulen, neue Wettbewerbe werden erfunden  ■ Von Michael Schophaus

Vor vielen Jahren, als es noch Zeit gab unter den Menschen und keine Fernbedienung, guckte man eigentlich ganz schön in die Röhre. Da waren die Herren Thööööölke und Huberty und Valerien und brachten uns die wundersame Welt des Sportes näher.

Wir alle saßen damals in der ersten Reihe, blickten ergeben auf das Tor des Monats und erfreuten uns an jeder öffentlich-rechtlichen Riesenfelge. Die Tage waren schon sehr beschaulich, bevor RTL das große Tennis aufkaufte und Sat.1 den großen Fußball und auch andere Verbände ihre Übertragungsrechte meistbietend ans TV verramschten.

Seitdem hat Sport kurz, dramatisch, unterhaltend zu sein. Bläst man Windsurfern im Hallenbad aus riesigen Turbinen Wind in die Segel, rütteln sich Skirennläufer in waghalsigen Sprintabfahrten zu Tal, versucht man im drögen Fechten durchsichtige Masken einzuführen, um die Anspannung in den Gesichtern zu erhaschen.

Die Sender buhlen um die Gunst der Zuschauer und um das Geld der Werbeindustrie, und aus Angst, ganz von der Bildfläche zu verschwinden, wären wohl manche Sportler in der Zukunft zu fast jedem telegenen Kompromiß bereit: Leuchtende Bälle beim Squash und beim Hockey, Kameragondeln, die über Skiläufern rattern, Laserwaffen beim Biathlon, die die Schußbahn sichtbar machen, Eiskunstläufer, die ihren Rittberger nur noch von der Bande eines Werbepartners setzen, und selbst auf Helme soll man demnächst beim Eishockey verzichten dürfen, um uns das Profil der Gladiatoren einschaltquotenfreudig in die Wohnzimmer zu zoomen.

Die Wiedergabe durchs Fernsehen wirkt spannender, aufregender, doch sie verfälscht oftmals das Original.

Für die Olympischen Winterspiele in Lillehammer ließ der frühere Skistar Bernhard Russi eine Abfahrtsstrecke in den Wald schlagen, die er ausschließlich nach den Kamerawünschen des US- Senders CBS konzipierte. Und weil man sich im Winter daheim in New York oder Los Angeles im Grunde am liebsten nur an Eiskunstläufern delektiert, wurde das Programm kurzerhand bis in die tiefste Nacht erweitert. CBS zahlt ja schließlich über eine halbe Milliarde Mark an Fernsehrechten.

Was daher alles so aus unseren rechteckigen Kästen kommt, ist oft nur noch schöne heile und aufgemotzte Fernsehwelt, in der ein Regisseur entscheidet, ob wir blutige Knie sehen sollen oder das bange Antlitz von Lolita, die um das Gemächte ihres Lothars in der Freistoßmauer zittert. Der Sport steht letztlich im gnadenlosen Wettkampf mit knallhart konkurrierenden Gameshows, Vorabendserien oder Seifenopen, und bei 16.000 Stunden Sendezeit allein im letzten Jahr stimmt das mit der schönsten Nebensache auch schon lange nicht mehr. „Wir müssen das Augenmerk des Zuschauers auf das Wesentliche lenken“, meint Robert Hehenwarter, Chef der Firma „ComputerSport“, die für Vox, premiere und Sat.1 die optische Gestaltung von Sportveranstaltungen übernimmt. „Es gilt, Ästhetik zu erzeugen, Emotionen zu wecken und für eine angenehme, übersichtliche Atmosphäre zu sorgen, in der sich jeder wohl fühlt.“ Dafür tüftelt er mit Psychologen herum, berät er bei Kamerapositionen, und schafft ein farblich ideales Umfeld, in dem „Werbung zwar da ist, aber nicht stört.“

Seine Vorbilder heißen dabei nicht Heribert Faßbender („einer aus dem falschen Jahrhundert“), sondern die schillernde, kaufkräftige Generation, die sich in ihrer Freizeit gern mit Videoclips versorgt. Hehenwarters Wunschbild: Eishockeyspieler mit gelbem Puck auf blauem Eis, Franzi von Almsick krault bei Rockmusik in lila Wasser, Objektive verfolgen einen bis an den Schrank der Umkleidekabine.

Ein schmaler Grat zwischen dem Diktat des Fernsehens und sinnvollen Reformen. Denn so gut man einen Tischtennisball auch über einem bordeauxroten Boden erkennen mag, oder so zweckmäßig es ist, beim Skifahren die Zahl der Starter im zweiten Durchgang auf 30 zu reduzieren, um nicht auch noch den für Chile startenden Holländer zu ertragen, hört der Spaß woanders auf: bei Wettbewerben, die erst erfunden wurden für das Fernsehen, wie die Champions league im Fußball oder der Shorttrack im Eisschnellauf, oder bei dem, was neuerdings in der Weltligaspielen beim Volleyball passiert: Nach jedem fünften oder zehnten Punkt gibt es Auszeiten, damit sich Werbefilme schalten lassen, und am Schiedsrichterstuhl leuchtet eine Lampe auf, wenn sich das TV zur Zeitlupe entschließt. Das Match wird dann für sieben Sekunden unterbrochen.

Für einen aufrechten Hockeyspieler wäre so was völlig undenkbar. „Wir brauchen das Fernsehen“, sagt Vizepräsident Wilfried Müther vom Deutschen Hockey- Bund, „aber wir würden uns von ihm nicht vergewaltigen lassen. Bei uns zählen noch andere Werte. Mut, Können, Kameradschaft.“

Guter alter Ernst Huberty.

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