: Marktwirtschaft in Reinkultur
■ Jäger drängt es zur Privatisierung staatlicher Dienstleistung
„Was die Bürger wollen, geht mit den geltenden Gesetzen nicht“, stellte Claus Jäger, Senator für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie, am Montag auf einer Tagung zur Privatisierung kommunaler Aufgaben fest. Der Senator hat anscheinend den direkten Draht zur Basis. Für ihn besteht kein Zweifel, daß seine WählerInnen eine weitgehende Privatisierung des öffentlichen Dienstes wollen. Alles was nicht per Definition eine Staatsaufgabe mit hoheitlichem Charakter ist, wie Militär und Justiz, ist seiner Meinung nach „privatisierungsfähig“.
Wenn da nicht das Tarif- und Arbeitsrecht wäre. Die 25.000 Bediensteten im öffentlichen Dienst sind nämlich nicht so einfach vor die Tür zu setzen. Aber dieses „Totschlagsargument“ mag Jäger nicht mehr hören. „Wir müssen auch über das Beamtengesetz diskutieren“, so der Senator. Für die einsparbaren MitarbeiterInnen könnte man dann entweder einen Sozialplan aufstellen oder sie auf den Arbeitsmarkt entlassen.
Die öffentliche Hand sei zwar verpflichtet, die Grundversorgung der BürgerInnen sicherzustellen, sagte Jäger, aber wie sie das mache, sei nicht vorgeschrieben. Privatisiert werden könnten zum Beispiel Kindergärten, Schulen und Krankenhäuser. „Das bedeutet für die Schulen das Ende der Gebührenfreiheit“, so Prof. Karl Oettle von der Universität München. Für ihn ist „ein Trend weg von der sozialen Marktwirtschaft hin zur reinen Marktwirtschaft erkennbar. Das heißt, man will insgesamt weniger Rücksicht nehmen.“ Und er forderte von den PolitikerInnen, die Folgen dieser Privatisierung, klar beim Namen zu nennen. „Wir müssen doch erstmal diskutieren, wo fängt sozial an und wo hört es auf“, befand dagegen Dieter Kohler, Präsident des Bundes der Steuerzahler.
Diese Diskussion fand allerdings nicht statt. So wurde zwar festgestellt, daß private Putzkolonnen nur deshalb billiger sind, weil die Angestellten dort zu Dumping-Löhnen und meist ohne Sozialversicherung arbeiten, aber kritisiert wurde das nicht.
Daß im öffentlichen Dienst abgespeckt werden kann, blieb in der Diskussionsrunde unbestritten; gestritten wurde über Umfang und konkrete Projekte. Josef Grünbeck, FDP-Bundestagsabgeordneter, nannte als Beispiel die erfolgreiche Privatisierung von bundesweit rund 100 Schwimmbädern, die an private Betreiber verpachtet wurden. Oettle gab zu bedenken, daß private Ersatzanbieter nur Aufträge übernehmen, die auch Profit abwerfen. Und da in einer Marktwirtschaft ein privates Angebot nicht erzwungen werden könne, bleibe die öffentliche Hand entweder auf den wenig lukrativen Diensten sitzen oder sie streiche diese gleich ganz aus dem Programm. kaz
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