Sie nannten ihn Biblo

■ Zwei Vorträge zu Aby Warburg

Ungeschminkte Sätze fielen dort ungeniert, wo sonst die Sterne stoisch ihre Bahnen ziehen. Der Dölling & Galitz Verlag hatte unter die Kuppel des Planetariums geladen, an jenen Ort an dem die gigantischen als verschollen geltende Materialsammlung des Universalgelehrten Aby Warburg vor nunmehr 7 Jahren überraschend auftauchte. Man sollte am dritten Abend der Warburg-Woche mehr erfahren über die letzten Lebensjahre eines originellen Kulturwissenschaftler.

„Biblo“ – so wußte die Berliner Warburg-Kennerin Claudia Naber zu berichten – nannten ihn die treuseligen Studenten wegen seiner mächtigen Bibliothek. Warburg machte 1924 in seiner Heimatstadt seine immerhin 20.000 Bücher, die sich in allen Winkeln der Eppendorfer Wohnung stapelten, öffentlich zugänglich und die neu geschaffene Bibliothek zum intellektuellen Treffpunkt Hamburgs der 20er Jahre. Ungeachtet seines immer tiefer in die ergonomischen Stühle versinkenden Publikums las Frau Naber im Stil matter Studenten ihren verkitschten Vortrag „Der späte Warburg“ vom Blatt; verlor dabei jedoch nur wenige Worte über dessen Wirken.

Zogen sich doch in jenen Jahren die Teilbeschäftigungen des Kunsthistorikers zu einem dichtgeknüpften Strang zusammen: dem Mnemosyne Atlas. Wie schon im Titel angedeutet (Mnemosyne = Gedächtnis), fahndete Warburg nach einem Bildergedächtnis der Gesellschaft, der sozialen Mneme. Durch akribisches Sammeln suchte er die Nachwirkungen der antiken Bilderwelt diachron bis zur Gegenwart hin zu dokumentieren. Über die Art der Aneignung antiker Symbole wollte Warburg Aussagen über die Befindlichkeit der jeweiligen Epoche leisten. Sein Tod jedoch vereitelte das Vorhaben, der Atlas blieb ein Steinbruch der Bildersprache der Epochen.

Doch Warburgs Arbeitsweise mochte auch der zweite Vortrag nicht Rechnung zollen. Pieter van Huisstede war aus Utrecht angereist, um zunächst den englischen Vokabeln seines gestutzten Vortrags nachzujagen. Fahrig und umständlich umkreiste Huisstede, der wesentlich zur Identifizierung der warburgschen Bilderflut beigetragen hat, sein Thema. Immerhin forderte er noch auf, den Atlas als „work in progress“ zu verstehen, dessen angemessenes Medium die CD-Rom sei, die Vernetzungen bequem erlauht. Vielleicht hätte man im Planetarium auch besser virtuelle Warburg-Gedankenwelten aufgefächert. Volker Marquardt