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Über dem Regenbogen

Schneller, höher, weiter, mehr: Morgen wird eine „Love Parade“ der Superlative den Ku'damm runterraven. Doch die Jüngeren legen den olympischen Tanz-Gedanken schon wieder anders aus. Generationskonflikt im Hause Techno?  ■ Von Peter Kessen

„Vollmundig“ ist ein Dreck dagegen: „Zwischen 50.000 und 100.000 Raver werden zur Parade erwartet, was beweist, daß das Motto der ersten Love Parade vor sechs Jahren ,The Future is ours‘ nun Wirklichkeit geworden ist ... Eure Camel Silverpage Crew“.

Solch zahlenberauschte (und darin nicht einmal unrealistische) Prophezeiungen feuert das Szene- Blatt Frontpage, gesponsert von einem Tabakkonzern, auf die Tanz- Gemeinde, die am morgigen Samstag in Berlin zum sechsten Mal die „Love Parade“ begehen wird – mit rund vierzig 36-Tonnen-Sattelschleppern, auf denen die Rave- Gläubigen der Welt die frohe Botschaft von Verausgabung, Völkerverständigung und Lebensspaß als solchem zu bringen gedenken. Und alle machen mit: Neben dem traditionellen Umzug vom Wittenbergplatz inszenieren rund 87 DJs, Live Acts und Videoaktivisten an fünf Orten in Ost und West das Techno-&-House-Happening.

International ist es sowieso: Zu den teutonischen Vertretern des eher puristischen BumBum (Westbam, Tanith, Sven Väth, Marusha) gesellen sich die Großmeister aus den Staaten und Großbritannien: neben den House-Göttern Jeff Mills und George Morell vor allem DJ Hype, der Hochgeschwindigkeitsbeats mit afrikanisch-jamaikanischer Rhythmik verschmilzt (sogenannter Jungle-Techno), sowie der Acid-Afficionado Dave Clark aus England, der an die Smiley-Poppigkeit der Instant-Disco- Variante erinnert.

Die ravende Gesellschaft

Was vor sechs Jahren mit gerade mal 150 Tänzern auf dem Ku'damm begann, ist zum Superspektakel mit internationaler Strahlkraft geworden: Die Love-Parade – das Woodstock der Techno-&- House-Generation.

Groß das Glücksversprechen, das den Spaß an Tanz und Spektakel mittlerweile überwölbt: Mit der Stilvielfalt der einst grob „Techno“ oder (eurodeutsch) „Tekkno“ genannten Musik ist eine Ideologie erblüht, die im Schlachtruf „Auf zur ravenden Gesellschaft“ gipfelt. Geboten wird eine Melange aus neutestamentarischen Verheißungen („Gültigkeit haben die heiligen Grundsätze der Ravebewegung Love, Peace und Unity“) und Geschäftstüchtigkeit (Camel und Puma als Hauptsponsoren), die sich gerne zum evolutionären Imperativ verdickt: „Wir sehen in der Zukunft die ravende Gesellschaft, die Gesellschaft, die begreift, was wir heute sagen. Die gesellschaftlichen Folgen sind unabsehbar und werden mindestens so groß sein wie der gesellschaftliche Impact der Hippies, die Theorien und Ideologien der 68er, auf die späten 60er und 70er Jahre.“

Solche manifestartigen Töne entspringen dem Mac des Jürgen Laarmann, Chefredakteur des Szene-Sprachrohrs Frontpage. Das Monatsmagazin versteht sich als informativstes, bestaussehendstes und kontroversestes Forum für Techno & House in Deutschland. Und Laarmann hat damit mehr als nur eine Marktlücke gefüllt: Die Auflage des Blattes schnellte in vier Jahren von 5- auf 60.000. Die Leute von Frontpage publizieren jetzt zusätzlich die Modezeitschrift Sense, im Herbst, heißt es, eröffnen sie einen Club. Ironie des Erfolgs: Laarmann hat im März die Bürofluchten des abgetauchten Immobilienhais Schneider übernommen – direkt an der Promeniermeile Tauentzien.

Die Verwechslung von persönlichem Erfolg und gesellschaftlicher Macht, wie sie der Bewegung durch ihre Chefideologen zugeschrieben wird, überrascht. Schließlich galten Techno-Macher immer als ausgesprochen geschäftstüchtig und dem Realitätsprinzip verhaftet, und nicht zufällig vermieden sie die ideologische Aufladung von Beats & Grooves mit antikapitalistischen oder nonkonformistischen Botschaften. Während Rock 'n' Roll noch Freiheit und Abenteuer qua Rebellion gegen die großen Gegner „Gesellschaft“ und „Establishment“ propagierte, verneinte die Techno- Generation die folgenlosen Wolkigkeiten bisheriger Jugendkulturen. Die einzige Botschaft: Spaß, Spaß und noch mal Spaß.

Die Parole von der „ravenden Gesellschaft“ ist trotzdem keine individuelle Entgleisung Laarmanns, sie ist mittlerweile in vieler Munde. Erste Multiplikatorin war Marusha. Die heute 26jährige hat als erste deutsche Techno-Produzentin den Superstar-Status erreicht: eine halbe Million verkaufter Exemplare des Hits „Over the Rainbow“, das reicht für Platin. Die einstige Schuhverkäuferin dient als Rave-Rolemodell für Teenies, die dann in der Jugendfachpresse beispielsweise das Geheimnis um Marushas Zöpfchenfrisur erfahren. Ihre Radio-Sendung „Rave Satellite“ dokumentiert die gute Laune der „Rave Nation“ durch Musik pur, gespickt allenfalls mit minimalistischen Hörer-Interviews: „Bist du hübsch?“ – „Is' egal, daß draußen das Wetter scheiße ist!“ – „Hast du 'ne Mutti, die richtig doll kochen kann?“ – „Bist du ein richtiger Raver mit der ganzen Adidas-Äktschn?“

Auch Freunde kriegen bei Marusha schon mal ein Freispiel, um ihre Botschaften loszuwerden oder etwas Präsenz zu zeigen. In ihrer TV-Sendung „Feuerreiter“ ließ Marusha DJ Westbam, den hitparadenerfolgreichen Altmeister der Techno-Bewegung und Kopf der Schallplattenfirma „Low Spirit“, erklären: „Wir machen die ravende Gesellschaft. Auch Helmut Kohl soll mitraven.“

Dieselbe Botschaft auf allen Kanälen. Auf Viva, MTV, RTL und Sat.1 laufen demnächst Clips zu Westbams erfolgreicher LP „Bam Bam Bam“. Die Spots dauern fünf Sekunden. Im ersten vermeldet eine triste Nachrichtensprecherin: „Die ravende Gesellschaft kommt: Nichts ist mehr wie früher!“ Raver stürmen das Studio, einer sagt: „Alles ist anders!“ Im zweiten Spot tanzen die Raver. Westbam begrüßt: „Hello my friends!“ Ein Raver verkündet: „Wir sind anders!“ Die Laufschrift untertitelt: „Die ravende Gesellschaft ist da!“ Im letzten bilanziert der Untertitel vor krakeelenden Hedonisten: „Die ravende Gesellschaft kam, um zu bleiben.“

Wozu soviel Weltbeglückung? Laarmann fällt auch nichts Besseres ein, als auf den unbestreitbaren kommerziellen Durchbruch zu verweisen. Es ist ja wahr: Rund die Hälfte der Top-100-Songs enthal

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Fortsetzung

ten heute Techno-Elemente, Massen-Raves haben regen Zulauf, Computergraphik gilt als schick, Sportswear mit Techno- und Ambientmotiven verschönern Teeniekörper wie -kleidung. Auch Haushaltsartikel sind nicht mehr davon verschont – bis zur Techno-Brotschneidemaschine und zum Rave- Entsafter ist es nur eine Frage der Zeit.

Und das alles mit immer demselben schmucklosen Ideologieschnörkel: „Wir wollen durch Musik und Rave-Kultur glücklich werden.“ Man fühlt sich an die schlichtere Seite der Hippie-Kultur erinnert. Anders als damals jedoch, ist Technik nicht Bestandteil des bösen Systems, sondern Mittel zur Selbstverwirklichung.

Mit ursprünglich egalitären Tendenzen. Techno, so ging anfangs die Rede, habe die Produktionsweise von populärer Musik radikal demokratisiert. Und tatsächlich läßt sich eine Techno- Maxi mit Equipment von 2- bis 5.000 Mark produzieren. So fabrizierte der 18jährige Pole Jan Pravda noch den Hit der letzten Mayday (EP „Krankenhaus“). Allerdings verkauften sich solche Platten auch nur im Durchschnitt zwischen 500 und 2.000 Exemplare weltweit. Kein Vergleich zu heutigen Chartbreakern wie Westbam, Marusha und Sven Väth. Über der relativen Gleichheit von Produzenten und Konsumenten hat sich das übliche Star-System errichtet, das Selbstverwirklichung verspricht und Lifestyle liefert – eine Entwicklung, die für Techno und Rave allerdings nahelag: Wo der kleinste gemeinsame Nenner sich immer wieder in einem apolitischen Hedonismus erschöpft, ist der Weg von der durchtanzten Nacht zum Animations-Dancing im Club Mediterranné nicht besonders weit. Musikalisch ließ sich der Hitparadenerfolg der Low-Spirit-Produkte – Westbams LP „Bam Bam Bam“ und Marushas „Raveland“ – nur mit Stagnation erkaufen: Techno schrumpft in der Hitparade zu weichgepoppten, kommerziellen Soundstückchen. Darum kann das ARD-Fernsehballet problemlos zu Titeln von Westbam tanzen.

Der Sound der ewigen Wiederkehr

Die wirklichen House- und Techno-Pioniere arbeiten in den Staaten und Großbritannien. Die „Sound-Ingenieure“ des New Yorker Strictly-Rhythm-Labels etwa degradieren die deutsche Szene zum Entwicklungsland – ihre filigrane Dramatik speist sich aus dem Materialreichtum von Soul und Disco. Legen die DJs Cle und Disko im Berliner Globus House auf, dröhnt nur stumpfe Rhythmik – der Sound der ewigen Wiederkehr –, während der Star-DJ George Morell an gleicher Stätte eine soulfulle Dramatik konstruiert. Es ist eine Frage des verwendeten Materials: Die britischen Breakbeat- und Jungle-Experten beziehen ihre Rhythmusartistik aus der entwickelten Popmusikkultur der Insel – von Ragga bis HipHop. Dieser Materialreichtum fehlt den Deutschen (von Ausnahmen abgesehen wie den Kölner Deep-House-Aktivisten Nieswandt & Clark oder dem Hamburger Boris Dlugosch). Innovative Produzenten aus Deutschland – beispielsweise der Münchner DJ Hell, der gerade mit den Punkveteranen Goldene Zitronen produziert – bleiben die Ausnahme. Laarmanns Behauptung, Techno sei die erste originär „kontinentaleuropäische Musik und Jugendkultur, die nicht unter angloamerikanischer Vorherrschaft entsteht“, ist musikalisch gesehen ein Witz, ideologisch nicht frei von Chauvinismus. Auch die Dauertanznächte, die Raves, sind nicht mehr, was sie einmal waren. Das Berliner „E-Werk“ mutierte zur Abzockerhalle, wo man für 20 Mark Eintritt beim samstäglichen Twirl um vier Uhr zehn beispielsweise Hardtrance-Techno- Stumpfsinn von DJ Woody ertragen darf. Nicht viel anders steht es mit dem schon legendären „Tresor“, sieht man eimal von gelegentlichen Attacken Sven Väths und dem blühenden House-Freitag ab. Die Szene-Veteranen von Frontpage erkennen bereits eine „Dritte Generation“ der Raver; gemeint sind Leute, die erst seit Marushas Erfolg dabei sind (im Gegensatz zu den Männern und Frauen der ersten Stunde und der Prä-Marusha- Aufbaugeneration). Beklagt wird an diesen Debütanten der Mangel an Enthusiasmus: 80 Kilometer Autofahrt nebst Installation von Generatoren, um anschließend eine Waldlichtung zu beschallen und zu betanzen – das scheint heute nicht mehr so gefragt. Der Frontpage-Szenereporter beklagt aber auch die „Laschheit“ der Veteranen in „Tresor“ und „E- Werk“.

Auch Techno feiert mittlerweile Revival-Parties, wie man sie vom Rock her kennt. Andreas Rossmann, E-Werk-Mitinhaber, bezeichnete tatsächlich die „Eternal Classic Night“ am 1. April als „die beste Party, die hier stattfand“. An diesem Abend nudelten noch einmal die „guten alten Hits aus der Techno-History“ von Rok, Tanith und GTO vom Plattenteller.

Als echtes Ereignis firmiert dagegen für die meisten, wenn der britische DJ-Star Dave Clark im Berliner Elektro auflegt, dem kleinsten Club der Republik. Doch auch Clark kritisiert die Begeisterungsvernichtung durch Massenaufmärsche: „In London ist zuviel. Die Leute sind nicht mehr begeisterungsfähig, auch nicht bei guten Dingen.“

Das echte, unverfälschte Dancefloor-Glück leuchtet nur selten noch. In Berlin etwa im House-Club „IT“, lokalisiert im Café Moskau an der Karl-Marx- Allee. Altmeister wie DJ Duke aus New York inszenieren dort eine soulfulle Hysterie, die schwule Szene trägt mit ausgefeiltem Vogueing ihr Scherflein bei (wie der Camp der Schwulen überhaupt die Essenz der souligen Dramatik des New Yorker Deep House ist). In diesem Sinn ist dem 212. Mega-Super-Abzocker-Rave klar ein schwul-lesbisches Straßenfest in der Motzstraße vorzuziehen, wo eine buntscheckige Menge zur Tea-Time haust.

Doch wenig davon ist bis zu den Mainstream-Medien durchgedrungen, die seit fünf Jahren mit bertimäßiger Verläßlichkeit ihren Refrain wiederholen: „Anna, 16, nach 16 Mayday-Stunden: Ich lebe immer noch!“ Wo man auch hinschaut, gibt es sie, diese leicht pornographischen Berichte abgefeimter Endzwanziger-Karrieristen, in denen es stets nur um Exzeß und Erfolg geht.

Für die Novizen der „Dritten Rave-Generation“ spielt das aber alles keine besonders große Rolle. Für sie hat Feuilletonismus und Journalistensoziologie genausowenig Gebrauchswert wie der tonnenschwere Überbau der „ravenden Gesellschaft“. Leserbriefe in Frontpage attackierten den Utopismus als „abgehoben“ und „so was von zynisch“ angesichts der realen Lage der ravenden Erwerbstätigen.

Techno/House ist nun einmal kein Rock, braucht keine selbsternannten Avantgardisten, die die Welt beglücken wollen. Hoffnungsvoll tönen die Resultate dreiwöchiger Feldforschung von meinem Tape – Attacken der 20jährigen gegen die Ideologie der ravenden Großväter: Is' uncool, was soll das Gelaber!

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