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Ein Staat, der Mafia auf den Leib geschneidert

In Serbien gedeihen die Beziehungen zwischen Geschäftswelt, Politik, Geheimdienst und Unterwelt  ■ Aus Belgrad Karen Thürnau

Wer zu Vanja Bulićs Talkshow „Schwarze Perlen“ eingeladen wird, darf sich als respektable Persönlichkeit der Belgrader Halb- und Unterwelt betrachten. Denn in der Sendung des Belgrader Fernsehsenders TV Politika werden ausschließlich Leute mit Vergangenheit vorgestellt – Casinobesitzer, Gangsterlegenden, Geheimagenten. Das „Milieu“ ist salonfähig geworden, zumindest, wenn es den Ruch des Autodiebes verloren hat, wenn es um das ganz große Geld geht. Im schwarz ausgekleideten Studio plaudern sie ganz ungeniert über ihre „Karrieren“. Und über die guten alten Zeiten, als noch mehr geboxt und weniger geschossen wurde.

Vanja Bulić, selbst verwandt mit einer jener Größen, die nach einer „Auslandskarriere“ nun in Belgrad ehrenwerte Geschäftsleute sind, verteidigt seine Gäste: „Diese Leute sind hier ganz honorige Bürger. Die leisten sich nicht einmal ein Parkvergehen.“ Tatsächlich bewegt sich die Kriminalität im Lande heute in ganz anderen Dimensionen. Denn in Serbien ist die Grenze zwischen Geschäftstüchtigkeit und Wirtschaftskriminalität längst verschwommen. Erst ermöglichte eine historisch einmalige Hyperinflation jegliche Art von Finanzschieberei und Budgetverschleierung. Millionenschwere Großunternehmen wurden ohne jedwede Gesetzesgrundlage und Kontrolle privatisiert. Und dann wurde das akkumulierte Kapital auch noch per Währungsreform legalisiert.

Unter der Glasglocke von Isolation und Embargo ist ein Treibhausklima entstanden, in dem die Geschäftstätigkeit der internationalen Mafia bestens gedeiht. Der Geheimdienst entführt am hellichten Tag und auf offener Straße ohne jede Rechtsgrundlage mißliebige Persönlichkeiten. Was Wunder, hat doch der Staat selbst kein Interesse daran, daß Handelsgüter wie Öl oder Medikamente allzu offiziell ins Land kommen. Das alles ist Dünger für jene Art von Geschäftsleuten, die hier bestenfalls „schwere Jungs“ genannt werden, von deren Machenschaften jeder „schon mal was gehört“ hat, über die aber niemand öffentlich, geschweige denn vor Gericht ein böses Wort verlieren würde.

„Die machen keinen Spaß“, heißt es – und es klingt nicht nur Furcht, sondern auch Ehrfurcht in diesen Worten. Kein Kameramann getraut sich mehr, das Haus des Ex-Freischärlerführers, Milieu-Häuptlings und Hobby-Politikers Željko Ražnjatović alias „Arkan“ zu filmen, denn „er mag das nicht“. Was eine „Karriere“: Ein international gesuchter Krimineller, der Kriegsverbrechen verdächtigt wird, macht im Schutz des Regimes Politkarriere. Und muß sich nicht mal vor einer Auslieferung fürchten: Die Verbindungen zwischen der europäischen und der jugoslawischen Interpol-Abteilung sind aufgrund des UN-Embargos längst abgebrochen.

Der Belgrader Kriminologe und Jurist Vladan Vasilijević beschäftigt sich seit Kriegsausbruch insbesondere mit Verbrechen, die im Windschatten der Kriegswirren geschehen. Neben Arkan verdächtigt er eine ganze Reihe von selbsternannten Patrioten des Massenmordes, der Vertreibung und systematischen Plünderung ganzer Dörfer, des Waffenhandels und der Unterschlagung von humanitären Hilfsleistungen. Wie sehr das vorgeschobene „nationale Interesse“ in diesem Balkankrieg eigentliche, finanzielle Interessen verdeckte, zeigt auch die gedeihliche ökonomische und militärische serbisch-muslimische Zusammenarbeit in der „Autonomen Region Westbosnien“. Dort hat sich Fikret Abdić, der Chef des ehemals größten Agrarkonzerns des sozialistischen Jugoslawiens, „Agrokomerc“, von der Regierung in Sarajevo losgesagt, um in Ruhe Öl, Waffen oder Lebensmittel zwischen Kroatien und Serbisch-Bosnien hin- und herschieben zu können.

Solche Geschäfte sind längst kein Geheimnis mehr: Das Belgrader Nachrichtenmagazin Nin berichtete Anfang März über den schwunghaften Waffenhandel in der bosnischen Gemeinde Teslić in unmittelbarer Nähe der Front, wo Angehörige serbischer Einheiten dem bosnisch-muslimischen Kriegsgegner Minenwerfer und Granaten verkauft hatten. Was Vasilijević besonders verbittert: Viele Kriegsverbrechen wurden als „Einsatz für die serbische Sache“ gedeckt und unterstützt durch höchste Staatsfunktionäre – insbesondere durch die Organe des serbischen Innenministeriums, das den Machtkampf mit seinem jugoslawischen Pendant offenbar mittlerweile gewonnen hat.

Wie weit die Zusammenarbeit besonders in der Frühphase dieses Balkankrieges wirklich ging, wissen nur die, die selbst mitgemacht haben. Der Ex-Geheimdienstler Boze Spasić etwa, der seinen Job verlor, als er in Vanja Bulićs „Schwarzen Perlen“ etwas zu ausführlich über die Zusammenarbeit zwischen Geheimdienst und Jugo- Mafia plauderte. Oder Badovan Stojićić, zu Kriegsbeginn Chef der Spezialeinheit „Roten Barette“, seit einem Jahr Chef der „Abteilung für öffentliche Sicherheit“ im serbischen Innenministerium und als Ressortchef zugleich stellvertretender Innenminister.

Oder Vojislav Šešelj, der Vorsitzende der ultranationalistischen „Radikalen Partei“ SRS, der seit seinem Zerwürfnis mit den regierenden Sozialisten des Präsidenten Slobodan Milošević ums politische Überleben kämpft. Šešelj spricht offen aus, was in Serbien noch immer die meisten bestreiten: Die Waffen für die Freiwilligeneinheiten kamen im Frühjahr 1991 vom serbischen Innenministerium höchstselbst. Seine Insiderkenntnisse aus den engeren Machtzirkeln machen Šešelj zu einer Gefahr für das Regime. Es scheint nur noch eine Frage der Zeit, bis der Radikalenführer nicht nur politisch, sondern auch physisch beseitigt wird – etwa, ganz galant, durch die Auslieferung an das internationale Kriegsverbrechertribunal in Den Haag.

So steht zu befürchten, daß die Verfolgung von Kriegsverbrechen ein Instrument in den Händen des Regimes wird. Solange die Archive der Staatssicherheitsdienste nicht geöffnet werden, bleibt vieles Gerücht, können Beweise weiter je nach Bedarf mal verwendet, mal vernichtet werden. So kann der Geheimdienst die Dossiers verwenden, um Persönlichkeiten des politischen und des wirtschaftlichen Lebens unter Druck zu setzen, kann illegale Geschäfte schützen oder gar inszenieren. Denn auch die jugoslawischen Strafverfolgungsbehörden stellen sich nach Bedarf blind.

Der Fall Radojica Nikčevićs, des Direktors des Großbauunternehmens „Šumadija“, gilt in Belgrad als Paradebeispiel für die Verknüpfung zwischen Geschäftswelt, Politik, Geheimdienst und Unterwelt. Eines Morgens im letzten Herbst wurde Nikčević erschossen vor seinem Mercedes aufgefunden. Warum und von wem, ist bis heute ungeklärt. Doch Nikčevićs Umfeld, seine gefährlichen Freundschaften, lassen tief blicken. Da ist der Gangster Goran Vuković, der für den Mord am Frankfurter Jugo-Mafiakönig Ljubo Magaš (angeblich eine Auftragsarbeit des serbischen Geheimdienstes) ein paar Jahre in deutschen Gefängnissen absaß und der nun seinen eigenen und Nikčevićs Namen auf einer Todesliste eben dieses Geheimdienstes gesehen haben will.

Da ist der italo-jugoslawische „Geschäftsmann“ Giovanni di Stefano, Mitaktionär des Filmkonzerns Metro-Goldwyn-Mayer, der zwar kein Wort Serbokroatisch spricht, aber trotzdem einen jugoslawischen Paß, den Direktorensessel seines ermordeten Freundes und zahlreiche Unternehmen besitzt – unter anderem eine populäre Radiostation. Di Stefanos Appetit scheint sich in letzter Zeit besonders auf Jugoslawiens größten Außenhandelskonzern „Cenex“ zu erstrecken.

Da sind Handlanger des Regimes im Hintergrund wie Michail Kertes, der, mal einfacher Abgeordneter, mal Chef der Staatssicherheit, mal Minister ohne Portefeuille, die immer gleiche Funktion innehat, das ausführende Organ für Spezialaufgaben von höchster staatlicher Bedeutung zu sein. Und dabei immer wieder eine erstaunliche Plumpheit beweist. So entblödete er sich nicht, während einer Genfer Verhandlungsrunde der bosnisch-muslimischen Delegation eine Wanze unter den Tisch zu kleben (was die britischen Staatssicherheitsbediensteten allerdings sofort entdeckten). Und da sind Nikčevićs Geschäftsbeziehungen mit dem malayischen König oder dem kolumbianischen Drogenkönig Escobar, nach dessen Tod der ehemalige „Šumadija“-Chef dreist genug war, in einer Todesanzeige seinem Bedauern über den Verlust seines „großen Freundes“ Ausdruck zu geben.

War Nikčević ein Geldwäscher der Drogenmafia? Internationale Kriminologen konstatieren, daß ungeachtet des Embargos auch weiterhin ein großer Teil des europäischen Drogenhandels über Jugoslawien läuft. Der Hauptumschlagplatz scheint der montenegrinische Hafen Bar zu sein. Auf dem Belgrader Drogenmarkt, der früher nur Haschisch handelte, kann man inzwischen problemlos Kokain erstehen. Im Land herrschen derzeit ideale Bedingungen, um Millionengewinne aus dem Drogen- und Waffenhandel unkontrolliert und gar mit staatlicher Deckung in ganz legale Geschäfte zu investieren.

Immobilien, Industriekonzerne, Medienbeteiligungen sind die lukrativsten Anlageobjekte. Keiner fragt, woher das Geld kommt. Über zahllose Privatbanken und Firmenzweigniederlassungen auf Zypern wird staatliches Eigentum ins Ausland geschickt. So wird auf hochgradig kriminelle Weise legales Kapital akkumuliert. Die parlamentarischen und gerichtlichen Kontrollmechanismen der staatsmonopolistischen Wirtschaftstätigkeit sind dagegen praktisch unwirksam beziehungsweise nicht existent. Auch in der neuen Regierung sitzen Minister, die zugleich hohe Funktionäre von Großunternehmen sind.

Kriminologe Vasilijević gehört zu den wenigen, die mittlerweile offen von „Regierungskriminalität“ sprechen. An baldige Veränderungen glaubt er nicht. Wer soll denn auch die Kriminellen und ihre Verbündeten in den staatlichen Organen bekämpfen, wenn der alte Innenminister Zoran Sokolović auch der neue geworden ist? Auch die Mehrheitsverteilung im Parlament nach den letzten Wahlen wird kaum frische Luft in den Mief der Halbwelt bringen.

Bis vor den Wahlen unterlag die parlamentarische Aufsicht über die Dienste den Sozialisten als stärkster Partei im Parlament, unter dem wachen Vorsitz von Radmilo Bogdanović (einem der engsten Berater von Milošević) und – vorübergehend – von Ljubiša Petković (einem Abgeordneten der Radikalen, der als „Maulwurf“ der Staatssicherheit gilt). Nach der Auflösung der Volksvertretung im vergangenen Herbst arbeitete die mächtigste Organisation des Landes monatelang praktisch ohne jegliche Kontrolle durch die Öffentlichkeit.

Die Opposition verlangt nun ihr Recht im parlamentarischen Innenausschuß – aber sie hat sich schon über die Wahl des Parlamentspräsidenten derart zerstritten, daß eine schnelle Einigung über diese sensiblen Positionen schwer vorstellbar ist. Und nicht zu vergessen: Nicht nur die Sozialisten pflegen ihre Kontakte zum „Milieu“, sondern auch die Opposition. Denn es gibt kein Gesetz zur Parteienfinanzierung – und ohne gewisse Einnahmequellen kann keine Partei, die es ernst meint mit der Macht, auch nur die Büromiete bezahlen.

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