Sanssouci: Vorschlag
■ Odyssee durchs Mittelmeer: Heimatklänge '94
Wenn Jahreszeiten durch Kulturereignisse zu markieren wären, dann hätte der Sommer einen Namen: Heimatklänge. Und so wie uns die Hitze jedes Jahr plötzlich vom Fahrrad reißt, so gehen auch die Heimatklänge immer irgendwie plötzlich los. Zum Beispiel an einem Tag wie heute. Auch wenn die Sache das ganze Jahr über sorgfältig vorbereitet wird, scheinen sogar die Festival- Macher bei der Pressekonferenz noch nicht ganz zu begreifen, daß sie die nächsten sieben Wochen (plus eine Woche Heimatkino) hauptsächlich „In den Zelten“ verbringen werden. Und das ist auch besser so. Denn wohl kaum ein Festival in der Stadt lebt so sehr von Überraschungseffekten. Das ist einerseits ein Image, das als Publikumslockstoff gute Dienste leistet, andererseits ein stilbildendes Organisationsprinzip. Zum Beispiel weiß keiner genau, was in dieser Woche passieren wird.
Eingeladen ist eine ganze Heerschar ägyptischer Musiker, die sich aus der 13-Millionen-Metropole Kairo kennen – zum Teil allerdings wohl nur von Plakatwänden. Die Riesentruppe – kein Mensch weiß, wie viele Musiker es sind – lieferte schon am letzten Samstag ein kleines Trainingskonzert. Bei der Freiluftpressekonferenz fiel vor allem ein kleiner Pascha ins Auge, der sich von süßen Piranha-Mädels, die vom Organisator eigens zu seiner Betreuung abgestellt wurden, Salzstangen in den VW-Bus reichen ließ. Fathi Ahmed ist aber nicht einfach ein Kind irgendeines Musikers, sondern stellt sich im Laufe des Nachmittags als „Kinderstar“ heraus. Als die Damen die Verteilung weiterer Salzstangen einstellen, verläßt der Pascha leicht säuerlich sein schattiges Plätzchen, teilt uns noch schnell mit, sein Künstlername sei schlicht „Kairo“, stellt sich zwischen die schon länger probenden alten Männer und beginnt zu singen. Und ick kann Ihnen sajen... Fathi hat als Kleinkind eine Opernausbildung genossen und war seit dem neunten Lebensjahr Special-Kinder-Guest diverser Partybands orientalischer Großfürsten.
Das allein würde schon fast bis Sonntag reichen, aber das Orchester hat gleich noch eine voluminöse nubische Sängerin eingekauft. Salma Abd Rady, die quasi die mittlere Generation vertritt. Der Methusalem des Salam-Delta-Orchesters ist Metqal, der Herr des Rababa, eines einsaitigen traditionellen Instruments, das mit dem Bogen angeschlagen wird. Am Samstag dauerte es eine Weile, bis sich Salam Delta so richtig schön eingegroovt hatte. Wenn sie bis heute artig weitergeprobt haben, dürfte die Eröffnungswoche recht spannend werden. Andreas Becker
„Heimatklänge '94 – Odyssee“ bis 21.8. Zunächst: Salam Delta aus Kairo: Mi.–Sa.: 21.30, So.: 16 Uhr, umsonst & draußen (bei Regen im Zelt), Tempodrom, In den Zelten, Tiergarten.
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