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Kooperieren oder doch lieber weiter ignorieren?

■ Seitdem die PDS der SPD die Wähler streitig macht, machen sich die Sozialdemokraten so ihre Gedanken. Hätte sich die SPD früher geöffnet, wäre die PDS heute nicht die Konkurrentin, die ...

Seitdem die PDS der SPD die Wähler streitig macht, machen sich die Sozialdemokraten so ihre Gedanken. Hätte sich die SPD früher geöffnet, wäre die PDS heute nicht die Konkurrentin, die der SPD im Osten die Mehrheit verbaut.

Kooperieren oder doch lieber weiter ignorieren?

Eine Meldung elektrisierte im Januar 1990 die Teilnehmer des Zentralen Runden Tisches im Berliner Schloß Hohenschönhausen. Statt um Stasi-Auflösung oder erzwungene Rechenschaftsberichte gestürzter Machthaber drehte sich plötzlich alles um eine Personalie: Einer wollte konvertieren. Der Dresdner Oberbürgermeister Wolfgang Berghofer, stellvertretender Vorsitzender der SED- PDS, hatte beschlossen, sich von der Partei zu trennen und sein beträchtliches politisches Talent künftig der deutschen Sozialdemokratie zur Verfügung zu stellen. Berghofer, neben Gregor Gysi und Ministerpräsident Hans Modrow einer der Hoffnungsträger der Partei, hatte die Lust verloren, sich als PDSler im zähen Abschied von der Macht zu verbrauchen und auf die Erneuerung der Genossen zu warten.

Aus der spektakulären Verstärkung für die SPD wurde nichts. Nicht Berghofer hatte sich am Ende anders entschieden: Die Ost- SPD, die gerade vier Monate alte Neugründung sozialdemokratisch gesonnener Bürgerrechtler, hatte kein Interesse an der brisanten Altlast. Statt Neubeginn blieb für Berghofer nur der Rückzug aus der Politik. Zusammen mit 39 Gleichgesinnten verließ er am 21. Januar 1990 die Partei. Seine letzte Forderung, die PDS möge sich wegen offenkundiger Reformunwilligkeit auflösen, beschied Spitzengenosse Gregor Gysi auf der darauffolgenden Präsidiumssitzung kurz und knapp: „Das ist für uns kein Thema.“

Zugespitzt ließe sich formulieren: Hätte die SPD damals Berghofer aufgenommen und ein Zeichen der Öffnung gegenüber den entnervten SEDlern gesetzt, sie hätte heute ein Problem weniger. Die PDS wäre nicht die organisatorisch und personell weit überlegene Konkurrentin, die der SPD die Mehrheitsfähigkeit im Osten verbaut. Sie müßte heute nicht zwischen Prinzipientreue und Machtkalkül lavieren, zwischen ostentativer Abgrenzung und mächtig wachsenden Kooperationsgelüsten mit der ungeliebten Konkurrenz. Die Sozialdemokratie wäre die dominante politische Kraft in den neuen Ländern und Stolpe kein SPD-Exot aus der dunklen Zeit. Die SPD wäre nicht ganz so aufrecht, dafür erfolgreicher. Wie Adenauers Union hätte sie ihre historische Aufgabe erfüllt, einen Teil der alten Eliten in die neue Zeit zu bringen, ohne daß sich die aus Mißachtung und Ausgrenzung gespeisten Ressentiments in neuen Organisationen bündeln. Vielleicht wäre der PDS aus ihrem ganzen Dienstleistungsangebot am Ende nur die Rentnerstrecke geblieben.

Pure Spekulation, plausibel nur im nachhinein. Das zeigt eine andere Geschichte. Drei Tage bevor Wolfgang Berghofer den Abschied nahm, am 18. Januar 1990, traf sich im Dresdner Gartenhaus des Barons Manfred von Ardenne der übertrittswillige Oberbürgermeister mit den beiden SDP-Gründungsvätern Markus Meckel und Martin Gutzeit. Berghofer unterbreitete sein Anliegen und versprach, gleich noch einige Kombinatsdirektoren mitzubringen. Berghofer wurde ablehnend beschieden. Eine Aufnahme per Vorstandsbeschluß sei nicht drin. Signale solcher Art würden die junge Partei „zerreißen“. In der Tat, wer damals die Forderung nach „Integration“ von zwei Millionen heimatlosen Kommunisten gestellt hätte, auf dessen politische Vernunft hätten die wenigen hundert SPDler nicht allzuviel geben können. Im Januar '90 schlugen sich die Bürgerrechtler am Runden Tisch mit Modrow, der gerade die Idee einer reformierten Staatssicherheit propagierte. Damals stand die Überlebensfähigkeit der alten Strukturen und die Verantwortung der Staatspartei auf der politischen Tagesordnung. Keine Zeit für differenzierte Aufnahmeverfahren. Das Fazit der delikaten Bewerbung zog ein paar Tage später Parteisprecher Stephan Hilsberg: Im Prinzip könne jeder, der sich zu Statut und Programm der SPD bekenne, auch Mitglied werden. Über den Aufnahmeantrag habe die Basis zu befinden. Der für den Oberbürgermeister zuständige Ortsverband: Dresden.

So ist es bis auf den heutigen Tag sozialdemokratischer Usus. Nur sind, anders als 1990, die prominenten Aufnahmewünsche eher rar geworden. „Muß man sich heute dafür entschuldigen, daß man denen damals nicht auf den Leim gegangen ist?“, fragt Martin Gutzeit entnervt.

Seitdem die PDS – statt, wie vorhergesagt, einzugehen – der SPD die Wähler streitig macht, registrieren die einst von der West- SPD umworbenen Ost-Gründer den Stimmungsumschwung. 1990 war die bürgerrechtliche Tradition der DDR-SPD für die Westpartei eine nicht zu unterschätzende Hilfe gegen die Angriffe der Union auf die sozialdemokratische Entspannungspolitik. Gegen Volker Rühes Diffamierung, die Genossen hätten stets nur „Wandel durch Anbiederung“ betrieben, konnte die Baracke schon bald auf ihr Bündnis mit den SDP-Oppositionellen verweisen.

Diese bürgerrechtliche Tradition blieb auch dann noch bestimmend, als im März und Dezember schon klar wurde, daß sich die Wahlträume der Genossen auf lange Zeit nicht erfüllen würden. Prognostiziert worden war die „strukturelle Mehrheit“ der Sozialdemokraten im Osten. Kurz darauf dominierte Kohl. Damals hätte die SPD reagieren müssen. Doch während Union und Liberale sich ganze Blockparteien, Mitgliedschaft und Organisation inklusive, einverleibten, setzte die SPD geradlinig, mühsam und phantasielos ihren Aufbau von unten fort. Ex- SEDler wurden weiter auf Herz und Nieren durchgeprüft. Nur für eine Strategie gegenüber der PDS fühlte sich lange Zeit niemand zuständig.

Das ist spätestens seit den Europa- und Kommunalwahlen ganz anders geworden. Plötzlich machen sich alle, vom Parteipräsidium abwärts, über die PDS so ihre Gedanken: Koalieren? Kooperieren? Tolerieren? Oder doch weiter ignorieren? In Magdeburg jedenfalls wird seit gestern das erste Modellprojekt gestartet. An ihrem Tolerierungswillen einer rot-grünen Minderheitsregierung läßt die PDS keinen Zweifel. Parallel dazu entwickelt PDS-Vordenker André Brie sein Szenario: die PDS als dritte politische Kraft im Osten, neben SPD und Grünen ein legitimer Teil der deutschen Linken. Auch Brie gehörte im November '89, zusammen mit den Humboldt- Professoren Dieter Klein, Rainer Land und Dieter Segert, zu den SED-Frustrierten, die der (damaligen) SDP ihre Beratertätigkeit anboten. Heute ist Brie Wahlkampfleiter der PDS. Jetzt bietet er das Bündnis.

Martin Gutzeit, der zusammen mit Stephan Hilsberg, Rolf Schwanitz und anderen gegen die Magdeburger Koalitionsgespräche protestiert, ahnt schon, wie der Hase laufen wird. Die sturen SDP-Gründer von Schwandte sind längst dem Parteimythos inkorporiert, Geschichte. Perspektive: „Wir werden jetzt in den Ruf kommen, ein linkes Reformbündnis zu verhindern.“ Matthias Geis

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