piwik no script img

■ SeitenstichNur Mumm, alter Gockel

Wir BremerInnen dürfen frohlocken: Über uns bricht ein neuer Morgen herein. Ja, es ist ernst, reiben wir uns den Schlaf schnell aus den Augen. Wir könnten sonst verpassen, wie soeben in schreiend bunten Farben die frische Theatersonne über uns zusammenschlägt, die das Programmheft der nächsten Spielzeit so knallig zum Strahlen bringt. Und vor allem: Achten wir auf die neuen Töne, die unsere heymelige Stille von nun an zerreißen. Vom eitlen Kikerikiiie klingen uns schon die Ohren, weil's der Weckvogel lauthals in die Welt gellt, von jedem Fitzelchen geduldigen Papiers, was das Theater editiert: in Pamphleten, Broschüren, auf Karten und allem, was uns sonst noch hereinflattert. Das Logo der Intendanten-Ära Pierwoß – der Gockel – ist überall zu finden.

Wenn dieses Sinnbild hält, was sein Habitus verspricht, dann können wir uns auf entwaffnende Offenherzigkeit gefaßt machen, auf ein wenig Gespreiztes, ebenso auf kämpferische Töne. Und auf Herablassung – so hoch droben vor knallig blauem Himmelsgrund defiliert der Hühnermann über seinem neuen Programm, daß uns schwant, wie tief er in Bremens Niederungen herabsteigt, um seine paar abgezählten Körnchen Hirse zu picken.

Hirse? Ach, wer nur von Hirse schreibt, hat nicht recht hingeschaut. Denn dieser Theatergockel kommt in illustrer, wohlbekannter Gesellschaft – und die ist nicht halb so dezent, wie der Pierwoß-Hahn selbst. Als ein anderes Hähnchen prangt es im Programmheft neben dem Pierwoß'schen und lockt uns, das ganze Alltags-Theater fröhlich zu beginnen. Ja ist es denn zu fassen, der Kellog's Werbehahn ein Seelenverwandter aus der Welt des Genusses? Großmundig jedenfalls: mit seiner Riege frühstücke die ganze Welt, verbreitet er. Mahlzeit, Herr Hahn. Sie wissen Bescheid. Auch wir in Bremen wollen endlich zur ganzen Welt gehören. Nach allem was war, wäre das schonmal ein Trost, da nehmen wir ein wenig gespreiztes Gefieder in Kauf und werden deshalb nicht gleich mit den Flügeln schlagen. Schon wegen der Stadtmusikanten nicht, wo der Hahn doch zuoberst stand. Aber für die nächste Saison melden wir an, daß uns auch der Mumm-Sekt mundet. Und daß wir lila Kühe lieben. Und, da haben sie recht: An diesen Spaß am Leben verkaufen wir unsere Seele. Demnächst auch in Ihrem Theater – aber teuer, bitteschön.

Eva Rhode

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen