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„Vergeßt mich nicht“, sagt Tania

■ Tania Formenti muß zurück nach Brasilien / Paß für Heirat verweigert Von Kaija Kutter

Letzter Besuch in der Ausländerbehörde. Tania Formenti hat einen Termin um elf. Nochmal verhandeln über den Abflugtermin. Ihre Augen blitzen wie zwei türkisblaue Sterne. Die Frau, die seit einem Jahr um ihren Aufenthalt bangt, verfügt über eine unsichtbare Energie. Wer sie sieht, möchte ihr helfen. Sie ist eine Dame, eine schöne Frau, die ihren Abstieg von der einst angesehenen Wirtin des „Tropical Brasil“ zum Abschiebefall einer gescheiterten Ehe verdankt.

„Du mußt die Amsinfkstraße sehen. Du mußt darüber berichten“, sagt sie immer wieder der Journalistin im Schlepptau. Der Wartesaal im Sachgebiet „Aufenthaltsbeendende Maßnahmen“ ist voll. Kein Getränkeautomat, nichts zu lesen, keinerlei Ablenkung. Trübe, müde Gesichter, Männer, Frauen, anomym, keiner blickt so wie sie.

Die Beamten bringen diesen Menschen gegenüber keinen Respekt auf, sagt Tania Formenti. Bei ihrem letzten Besuch sei ein Ägypter in Handschellen über den Flur ins Zimmer 101 geschleppt worden. „Selbst schuld. Ihr müßt eben in Ägypten heiraten“, habe ein Sachbearbeiter zur weinenden Freundin gesagt.

Auch Tania Formenti wollte heiraten. Auch daraus wird nichts mehr. Das Standesamt in Hamburg Mitte verlangte Dokumente aus Brasilien, die gerichtliche Bestätigung dafür, daß Tania in Deutschland verheiratet war und geschieden wurde. Die Zustimmung des brasilianischen Konsulats zu einer neuerlichen Heirat reichte dem Standesbeamten nicht aus. Doch ohne standesamtliches Aufgebot keine Duldung, keine Hochzeit.

Seit dem 30. Juni weiß die 49jährige Mutter von drei Kindern, daß ihre Duldung nicht mehr verlängert wird. Ja, sie wolle freiwillig ausreisen, aber sie brauche Zeit, hatte sie dem Beamten L. gesagt. Doch bei ihrem zweiten Besuch, bei dem sie die Papiere der Kinder ablieferte, wurde der Abflug sogar um eine Woche vorverlegt. Ihr bleiben nur acht Tage Zeit, um ihre Wohnung aufzulösen und die Übersiedlung vorzubereiten. Wie verhindern, daß ihr Genossenschaftsanteil an der Wohnung verloren geht? Wohin mit dem Klavier? Wo werden die Kinder in Brasilien zur Schule gehen? Fragen über Fragen.

Wartezeit im Flur für Aufenthaltsbeendende Maßnahmen. „Waaarten!“ sagt der kleine Mann vom Sicherheitsdienst zwei Afrikanern, gleicht die mangelnden Englischkenntnisse mit penetranter Artikulation aus. Zu mehr Auskunft ist er nicht berechtigt. Der Beamte L. kommt auf Tania zu, sagt nicht „Guten Tag“, sagt nur: „Wir brauchen die Duldung“.

Tania gibt dem Mann das grüne Dokument, das einzige, das sie noch hat, seit ihr im vorigen Herbst der Paß abgenommen wurde. Sie hatte sogar den Petitionsausschuß der Bürgerschaft angerufen, ihr doch bitte den Paß auszuhändigen, damit sie in Dänemark heiraten könne. Keine Chance. Das Ansinnen wurde abgelehnt.

„Sie kommen gleich in Raum 101“, sagt ein anderer Sicherheitsbeamter im Vorbeigehen. Tania ist nervös, schraubt immer wieder die mitgebrachte Selter auf und zu. Kommt jetzt die sofortige Abschiebehaft? „Ich bin unbequem. Deswegen mögen die mich hier nicht“, sagt sie. Aber sie sitzt am kürzeren Hebel gegenüber diesen Männern, die das Ausländergesetz vollziehen. Als sie im Mai 1993 nach acht Jahren Aufenthalt und drei Jahren Verheiratetsein in Deutschland ihre unbefristete Aufenthaltsgenehmigung abholen wollte, waren die Beamten der Amsinckstraße darüber informiert, daß sie von ihrem Mann getrennt lebte. Sie habe ihn geliebt, aber er habe sie geschlagen, deshalb habe sie ihn rausgeschmissen, erinnert sich Tania. Das Ausländergesetz nimmt da keine Rücksicht, ein frauenpolitischer Skandal.

Erleichterung. Doch nicht ins Zimmer 101, sondern ins Zimmer des Beamten L. wird Tania gerufen. Der Mann schiebt ihr die Duldung auf dem Schreibtisch zu. Bis Montag mittag. Wenn sie dann nicht am Flughafen erscheine, werde eine Fahndung ausgeschrieben.

Eine ertrotzte Diskussion um den Abflugtermin erweißt sich als sinnlos. Der Flug am Montag sei günstig, argumentiert L. Den nächsten günstigen Flug gebe es erst in einem Monat. „Das bedeutet nochmal ein Monat Sozialhilfe für Sie. Das kann ich nicht verantworten“.

Und das Gepäck? Wenn sie mehr als 20 Kilo Gepäck mitnehme und der Abflug daran scheitere, „gibt es auch Ärger“. L.s Kollege zeigt auf eine Reisetasche, die auf dem Fußboden steht. „Gucken Sie. Die mußte eben jemand hierlassen.“

Tania verschlägt es die Sprache, sie geht raus. Sie wird Montag mittag den Flug nach Brasilien nehmen. Sie weint: „Vergeßt mich nicht. Vergeßt nicht, wie sie die Leute hier behandeln“.

Vielleicht kommt sie wieder. Wenn es ihr in Brasilien gelingt, die „Schulden“ für das Flugticket zu zahlen kann sie bei der Botschaft die „rückwirkende Befristung“ der Abschiebung und ein Visum Zwecks Heirat beantragen. „Das kann dann schon ein halbes Jahr dauern“, sagt Ausländerbehördensprecher Smekal. „Erst muß sie aber hier ihre Existenz aufgeben“.

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