Kein Schmerz, keine Behandlung

■ Elmshorn gewährt Flüchtlingen nur „unaufschiebbare Schmerzbehandlungen“ Innenministerium: „Das darf nicht sein“ Von Sannah Koch

Schmerz oder nicht Schmerz – das ist für das Sozialamt in Elmshorn die entscheidende Frage. Eine ärztliche Behandlung genehmigt das Amt Asylsuchenden jedenfalls nur, wenn eine „unbedingt notwendige, unaufschiebbare Schmerzbehandlung“ angezeigt ist. Dies wird den Ärzten durch eine entsprechende Notiz auf dem Krankenschein unmißverständlich klargemacht. Ein Verstoß gegen das seit Novmber ,93 geltende Asylbewerberleistungsgesetz (AsylblG), wie das zuständige Innenministerium gestern einräumen mußte.

Der Flüchtling, der diesen Krankenschein bei dem Hamburger Arzt Manfred Peters vorlegte, hatte Glück – der Internist kennt sich in der Rechtsmaterie besser aus als die Elmshorner Beamten. Denn laut AsylblG ist eine Behandlung „bei Schmerzzuständen und bei akuten Erkrankungen“ zu gewähren – und unter einer solchen Krankheit leidet sein Patient. „Eine lebensbedrohliche Zuckererkrankung, die 'Gott sei Dank' erst hier ausgebrochen ist“, so Peters zynischer Kommentar. Die Behandlung chronischer Erkrankungen wird nämlich durch das Gesetz für die Flüchtlinge untersagt, die noch kein Jahr in Deutschland leben. Mit diesem Hinweis wird laut Peters auch in Hamburg Asylsuchenden eine stationäre Behandlung im Krankenhaus verweigert.

„Wir erleben häufig, daß Sozialämter medizinische Leistungen zu verweigern versuchen“, sagt Peters, „aber die Elmshorner Methode ist mir neu.“ Würden sie diesem Verweis folgen, könnten sie nur noch einen von hundert Kranken behandeln. „Wir können doch nicht hinnehmen, daß in Deutschland Ausländer, nur weil sie Asylbewerber sind, die notwendige ärztliche Behandlung verweigert wird“, protestiert Peters.

Diese Position vertritt auch die Hamburger Ärztekammer. Bereits vor Inkrafttreten des AslyblG hatte sie auf die ärztliche Berufsordnung hingewiesen. Darin heißt es: „Der Arzt übt seinen Beruf nach den Geboten der Menschlichkeit aus. Er darf keine Grundsätze anerkennen und keine Vorschriften oder Anweisungen beachten, die mit dieser Aufgabe nicht vereinbar sind.“

Die Elmshorner Sachbearbeiter üben ihren Beruf hingegen ungetrübt von Rechtskenntnissen aus. Dies offenbarte ein Telefonat mit dem stellvertretenden Sozialamtsleiter Lothar Thom. Der sich zwar erstaunt, aber lernwillig zeigte. Auf den Hinweis, daß der Aufdruck auf seinen Krankenscheinen nicht mit dem Gesetz übereinstimme, erwiderte er: „Man muß halt manchmal auf Dinge gestoßen werden, sonst sieht man das nicht.“ Er werde die Angelegenheit überprüfen. Dies sicherte auch der zuständige Mitarbeiter im schleswig-holsteinischen Innenministerium, Paul Hinz, zu. Ein solcher Aufdruck dürfe nicht sein; allerdings, so räumte er ein, habe er schon mehrfach Beschwerden dieser Art zugetragen bekommen. Und das, obwohl er die Ämter mit einem ausführlichen Rundschreiben über die neue Gesetzeslage infomiert habe.

Laut Thom verwenden die Elmshorner den Stempel aber schon seit Jahren. Rechtsgrundlage? Achselzucken, das selbst durch's Telefon zu hören ist: „Anweisung von oben.“