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Von Bröseln, Brot und Brezeln

■ Die Bäckerinnung gesteht, das Brot ist nicht das allerbeste / Grund: Vor der nächsten Ernte muß das alte Getreide verbraucht werden / Ab Oktober wird's dann besser

Lucie Heinzerling ist verzweifelt. Berlin sei ja schön und gut, meint die Studentin aus München, doch jedesmal, wenn sie hier eine Brezel esse, packe sie das Heimweh. Berliner Brot bezeichnet sie nur noch als „Staub“, da es nach drei Tagen zu Bröseln zerfalle.

Für Heinrich Jünemann, Geschäftsführer der Bäckerinnung in Berlin, ist die Krise des Berliner Brotes nur eine zeitweilige: „Momentan hören wir öfter Klagen von Bäckern, daß das Mehl sehr schwer zu verarbeiten sei.“ Seiner Erklärung nach verbrauchen die Bäcker jetzt kurz vor der nächsten Ernte noch das letzte alte Getreide, was sich auf die Qualität des Brotes auswirken kann. „Ab Oktober haben wir wieder normale Zustände beim Brot.“ Saisonale Schwankungen im Brotgeschmack gab es zumindest im Westteil der Stadt bis vor kurzem noch nicht: Aus Angst vor einer erneuten Berlin-Blockade wurden hier, auf Qualität bedacht, Getreidevorräte angehäuft, so daß die Bäcker mindestens drei Jahre altes, gut abgelagertes Getreide verarbeiten durften.

Den Verdacht, daß bei größeren Bäckereien lieber Masse statt Klasse produziert wird, kann Jünemann nicht bestätigen, doch meint auch er: „Die Qualität leidet durch den Vertrieb.“ Tendenziell sind die Bäckereien in Westberlin größer als in Ostberlin, von 268 Betrieben beschäftigt im Westen gut ein Viertel 20 bis 49 Mitarbeiter, in Ostberlin hat nur knapp ein Sechstel der 192 Bäckereien diese Größe, die meisten beschäftigen hier 10 bis 19 Mitarbeiter.

Weder Saison noch Großbetrieb können wirklich erklären, warum manche Brote bei Böswilligen eher die Assoziation einer Trockenpressung als eines Backprozesses hervorrufen. Dies kann eine falsche „Führung“ des Teiges verursachen, wie die Bäcker es ausdrücken. Führung ist der gesamte Prozeß vom Zusammenschütten der Zutaten bis hin zum Backen. Ungeduld wird dabei öfter zum Verhängnis eines jeden Teiges, der aus noch so guten Zutaten bestehen mag.

An nicht ausgereifter Teigführung liegt es auch, daß Lucie Heinzerling hier keine anständigen Brezeln zu finden meint: „Was ich nicht gelernt habe, kann ich nur schwer nachmachen“, erklärt Jünemann die mangelnde Erfahrung der hiesigen Bäcker im Umgang mit Laugenteig. Brezeln würden eher in Süddeutschland gegessen, und hier würden zwar dieselben Zutaten verwendet, doch für gutes Gebäck sei „die Art der Führung entscheidend, nicht das Rezept“. Schließlich würden die Norddeutschen allgemein eher Roggenprodukte essen als die Süddeutschen, denn zum Beispiel „im Badischen, da bringt der Wein die Säure mit“, vermutet Jünemann.

Hartnäckigen Gerüchten zufolge gibt es die legendären Berliner Schrippen nur noch in Ostberliner Hinterhofbäckereien. Dafür könnte vielleicht der geringere Modernisierungsgrad, sprich die fehlenden Frostanlagen, verantwortlich sein, meint Dietrich Spöttlich von der Handwerkskammer Berlin. Nicht alle Bäcker wüßten tiefgefrorene Schrippen richtig zu behandeln, das Ergebnis seien klitschige Brötchen. Und schließlich gebe es dort vielleicht noch die guten alten Steinöfen. Jetzt müßte man nur noch wissen, welche Ostberliner Hinterhöfe gemeint sind. Anna Hanke

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