: Selbst das Sterben wird teurer werden
■ Doppelhaushalt für 1995/96 vom Senat verabschiedet / Neuverschuldung steigt auf über sechs Milliarden Mark
Mittwoch morgen gegen halb zwei konnten die Senatoren und der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) aufatmen. Nach vier Tagen Sitzungsmarathon und rund 40 Stunden Klausur, unterbrochen vom Besuch des US-Präsidenten, waren die Eckdaten für den Doppelhaushalt 1995/96 festgezurrt.
Um ein zusätzliches Finanzierungsvolumen von rund 18,2 Milliarden Mark in den nächsten beiden Jahren zu decken, wurde die Neuverschuldung erhöht: Statt der ursprünglich vorgesehenen 4,8 Milliarden wird sie im nächsten Jahr auf 6,8 Milliarden steigen. Ab 1996 fällt sie auf 6,1 Milliarden. Insgesamt liegt das Gesamtvolumen des Berliner Haushalts im nächsten Jahr mit rund 42,9 Milliarden etwas unter dem 94er-Haushalt (rund 43,3 Milliarden) und klettert ab 1996 auf 43,8 Milliarden Mark.
Die BVG erhält in den nächsten beiden Jahren rund eine Milliarde Mark als pauschale Zuweisung. Die direkten Senatszuschüsse für Arbeitslosen- und Sozialhilfetickets (siehe Artikel unten) bleiben bestehen.
Am gründlichsten vorbereitet, so hieß es intern, war Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) in die Verhandlungen gegangen. Sein Angebot, rund 15 Prozent der 200.000 Wohnungen aus dem Bestand der Westberliner städtischen Wohnungsbaugesellschaften in den nächsten Jahren „vorrangig“ an Mieter zu verkaufen, erhielt den Zuschlag gegenüber dem Vorstoß von Finanzsenator Elmar Pieroth (CDU), Teile der Gesellschaften zu privatisieren.
Heruntergeschraubt wird das soziale Wohnungsbauprogramm: Statt ursprünglich rund 4.000 Wohnungen sollen bereits ab nächstem Jahr nur noch 3.250 finanziert werden. Veränderungen gibt es auch beim Messeausbau. Bereits der dritte und nicht erst der vierte Bauabschnitt wird privatisiert. Bei den Entwicklungsgebieten – beispielsweise Wasserstadt Oberhavel – will der Senat einzelne Projekte überprüfen und möglicherweise strecken.
Auch eine Reihe von Gebühren und Steuern wird erhöht: so beispielsweise das Grundwasserentnahmegeld, die Bestattungs- und Krematoriengebühr und die Pacht für Kleingärtner. Durch die Ausschöpfung der Parkraumbewirtschaftung bis zu fünf Mark pro Stellplatz sollen in den nächsten beiden Jahren rund 68 Millionen Mark in den Steuersäckel fließen. Angehoben wird zudem die Grundsteuer ab 1995 und Gewerbersteuer ab 1996 – zusätzliche Einnahmen 310 Millionen Mark. Im Bereich der Hochschulen bekräftigte der Senat seine Absicht, die Zahl der Studienplätze bis über die Jahrtausendwende um 15.000 auf dann 100.000 abzubauen. Doppeleinrichtungen sollen zusammengelegt werden. Bitter trifft es die Humboldt-Universität, deren Überhang von derzeit 168 Stellen schrittweise heruntergefahren werden soll.
Im Kulturbereich sollen in den nächsten fünf Jahren die Spielstätten durch Umstrukturierungen Mittel einsparen. Die im nächsten Jahr fehlenden Bundesmittel für Kultur in Höhe von rund einer Viertelmilliarde Mark wurden in den jetzigen Doppelhaushalt eingebunden, ohne daß bisher klar ist, woher die dazu notwendigen Gelder kommen sollen.
Zusätzliche Einsparungen soll auch die Schaffung eines Landesschulamtes und weiterer zentraler Behörden erbringen. Darüber hinaus will der Senat dem Abgeordnetenhaus vorschlagen, spätestens in der 14. Legislaturperiode die Zahl der derzeit 23 Bezirke auf 12 zu begrenzen. Severin Weiland
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