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„Irritations“ bei Clinton

„Klinsmän“ bejubelte der FC Donauschwaben, aber: Die Hüter teutonischer Traditionen sind in den USA im Aussterben begriffen  ■ Von Josef-Otto Freudenreich

Werner III umspielt zuerst die Barhocker, danach die danebenstehenden Männerbeine, und wenn er dann noch den Fernseher in der Ecke trifft, schreit er „Klinsmän, Klinsmän“. Werner III ist sieben und hat ein schwarzrotgoldenes Trikot an. Sein Vater ist Werner II (33), der hier im Vereinsheim der Donauschwaben in Trenton/Pennsylvania sein Bier trinkt, Fußball guckt und nur noch gebrochen deutsch spricht. Werner II sagt, sein Herz schlage für Deutschland, obwohl er in Amerika geboren wurde. Sein Vater ist Werner I (65), der in den 50er Jahren aus Karlsdorf, einem kleinen Ort im damaligen Jugoslawien, in die USA ausgewandert ist.

Werner Fricker, der erste, ist Bauunternehmer und war viele Jahre Präsident des amerikanischen Fußballverbandes. Dafür durfte er beim Eröffnungsspiel Deutschland gegen Bolivien mit den Staatschefs Bill Clinton und Helmut Kohl in einer Reihe sitzen. Beim 1:0 von „Klinsmän“ ist er aufgesprungen und hat ganz laut „Tor“ geschrien. Dies habe bei Clinton „Irritations“ ausgelöst, erinnert sich Werner II.

Wer es noch nicht wissen sollte: Der Fußball in den USA hat im wesentlichen deutsche Wurzeln. Wo immer sich die Einwanderer aus Schwaben, Bayern, Sachsen, Westfalen niedergelassen haben, überall hin haben sie ihre eigene Kultur mitgebracht und damit das Spiel mit dem runden Leder.

Ihre Organisationen heißen Cannstatter Volksfest-Verein oder Bavaria Edelweiß oder Vereinigung Erzgebirge. Ihre Mannschaften hören auf die Namen FC Donauschwaben oder Blauweiß Gottschee. Bei ihren Festen wird die Kornblumenkönigin gewählt, Heino als Gesangsstar eingeladen sowie viel Schwabenbräu, Warsteiner oder Dortmunder Union getrunken. Der Präsident vom Gebirgstrachtenverein Buffalo, den es zu einer Ansprache drängt, schließt dieselbe mit den Worten: „I close with our bayerischen Trachtengruß: Zumpfti san ma.“ Ein Besuch bei diesen Deutschen ist meistens eine Reise in die Vergangenheit.

Bei den Erzgebirglern, die ihr schmuckes Vereinsheim unter alten Ahornbäumen „Waldesrauschen“ genannt haben, trinken wir mit Jack Köberlein ein Bier. Jack ist ein feiner Kerl. Der 63jährige stammt aus dem Sauerland, und ist die Stimme des deutschen Fußballs. Jack hat eine Worldcup- Kappe auf und ein Hemd an, auf dem Germany steht. Jack ist gelernter Setzer, Archivkraft beim Philadelphia Gazette Democrat, Radiomoderator und noch viel mehr.

Er ist eine Institution. Jack hat seit 1966 alle Weltmeisterschaften mitgemacht, als Reporter, der dafür Urlaub genommen und seine Reisen selbst bezahlt hat. Er kennt Pelé, der ihm der angenehmste Gesprächspartner war. Er ist per du mit Ferenc Puskas, der ihm verraten hat, daß er eigentlich Franz Pützer heißt. Der hat einen guten Draht zu Franz Beckenbauer, der ihm in seinen Zeiten bei Cosmos New York ans Herz gewachsen ist. Der Kaiser hat nämlich damals, anno 1977, gern Jacks Töchterchen in die Luft geworfen, weil es immer ein blauweißes Dirndlkleid getragen hat. „A Dirndl in Amerika, dös lass' i mir gfalln“, an diesen Ausspruch erinnert sich Jack noch heute. Selbstverständlich gehörte auch Gerd Müller zu seinen Gesprächspartnern, wobei sich seine Wertschätzung für den Bomber aus Bayern in Grenzen hielt. Es ist ja auch nichts geworden mit Müller in Übersee, wie überhaupt diese Orchideenliga mit Pelé, Beckenbauer und seinem Sportskameraden Gerd ein rechter Flop war. „Ein Versuch der Amerikaner“, erklärt Jack, „den Fußball von oben einzuführen, das mußte schiefgehen.“ Dasselbe werde mit der neuen Soccer-League passieren, prophezeit er, weil sich der US-Verband mit dem smarten Verkäufer Alan Rothenberg an der Spitze „nur für Profit“ und nicht für den Nachwuchs interessiere. Und was ist mit den Deutschen? Die könnten doch Hilfe leisten. „Die, die's könnten“, meint Jack, „die sterben aus.“

Dafür hat er sein Forum: die New Yorker Staatszeitung, das Organ für „Weltbürger deutscher Sprache“, wie der Untertitel verspricht. Bis 1975 war der Stuttgarter Erwin Single ihr Herausgeber. Präsident des US-Fußballverbandes war der Schwabe auch und Jacks Vorgänger als „Voice of Soccer“. Heute ist Jens Rau am Ruder, der seine ersten journalistischen Gehversuche bei den Stuttgarter Nachrichten unternommen hat und danach zur Zeit gewechselt ist.

Der 50jährige hat 1989 ein schweres Erbe angetreten. Die Auflage des Wochenblatts, das in seinen besten Zeiten 80.000mal verkauft wurde, ist auf 12.000 Exemplare abgesackt und spiegelt damit eine generelle Entwicklung in den USA wider: das traditionelle Deutschtum verschwindet. Raus Hauptklientel ist 60 Jahre und älter, die Jüngeren tragen zwar noch deutsche Namen, haben aber schon mit der Sprache Schwierigkeiten. Das Bekenntnis zur Heimat, das Leben alter Traditionen, das oft einhergeht mit geistiger Enge, ist ihre Sache nicht mehr.

Rau versucht nun den publizistischen Spagat. Einerseits druckt er seitenweise Berichte über das Bavarian Heritage Festival („zwoa Maß Bier, zünftige Musi und schene Madln“), andererseits soll eine englischsprachige Beilage jüngere Leserschichten ansprechen. Er selbst, ein durchaus sympathischer Querkopf, Workaholic trotz seines Herzinfarktes, personifiziert dieses Problem geradezu idealtypisch. Als Linksliberaler von der Zeit im Streit geschieden, marschiert er jetzt als „Leithammel der Deutschen“ bei der Steuben-Parade mit. Er weiß genau, daß er kein Spiegel sein kann, „der Nazis jagt“, er weiß aber auch, auf welches verminte Gelände er sich begibt, wenn er in seinen Kolumnen zu Recht betont, nicht alle Deutschen seien Nazis. Der Aufbau, die deutsch-jüdische Konkurrenz, nennt ihn dann einen Antisemiten, was in Amerika, das immer wieder den Holocaust thematisiert, ein schlimmer Vorwurf ist.

Daß seine fünfköpfige Redaktion zu allem Ungemach auch keine Akkreditierung für die Fußball-WM bekommen hat, ist da ein vergleichsweise kleines, aber aussagekräftiges Übel: die Deutschen von gestern sind eine aussterbende ethnische Minderheit, die in der amerikanischen Gesellschaft keine Rolle mehr spielt. Rau hat schon recht, wenn er beklagt, daß „alte Verdienste nichts mehr zählen“, daß es die Staatszeitung war, die den Soccer als einzige hochgehalten hat. Aber das ist Geschichte.

Die Gegenwart wird von anderen Menschen bestimmt: von Alan Rothenberg zum Beispiel, dem heutigen Präsidenten des US-Fußballverbandes und hochgerühmten „Vater“ der WM. Er ist es nicht. Es war sein Vorgänger, Werner Fricker I, der jahrelang auf dieses Ereignis hingearbeitet hat. Mit dem Worldcup wollte er sein Lebenswerk krönen. Seine Wiederwahl im August 1990 schien nur eine Formsache, bis es zur Abstimmung kam. Fricker unterlag Rothenberg, weil der Weltfußballverband interveniert hatte. Die FIFA wollte einen amerikanischen Manager, kein Fußball-Fossil, das neben Clinton über deutsche Tore jubelt und dessen Enkel, Werner III, im schwarzrotgoldenen Trikot herumtobt.

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