: Karawanen weißer Limousinen
Die Film-Maniacs von Metro Manila – Vom Skandal um die versehentliche Preisverleihung an eine Verfilmung der Bobbitt-Affaire bis zur Aquino-Tochter als Massaker-Queen ■ Von Dorothee Wenner
Es begab sich in einem prächtigen Ballsaal, wie man ihn seinesgleichen in Europa selten findet. Rot-goldender chinoiser Barock, auf der Bühne ein phantasievolles Rondo, von schottisch-römischer Architektur inspiriert. Unter der Schirmherrschaft von Bürgermeister Alfredo Lim fand in diesem festlichen Rahmen die Preisverleihung anläßlich des Manila Film Festivals statt: Fast vier Stunden lang wurden mit Applauseinblendungen zahlreiche Trophäen und Goldmedaillen, Ehrenurkunden und zierliche Statuetten an beste Kostüme, beste Maske, beste Musiker, bester Stunt, bestes Drehbuch etc. verliehen. Alles klappte wie am Schnürchen, für fließende Übergänge vom Fernsehballett zu den per Videogroßleinwand übertragenen Werbespots der Sponsoren – u.a. ein Insektenspray und „Ultra“-Waschmittelhersteller – sorgte eine korpulente Moderatorin, die graziös wie ein Osterhäschen von einem Orchideennest ins nächste hüpfte. Aber kaum waren die Kameras für die Live-Übertragung ausgeknipst, ließ Jury-Mitglied Gretchen Barretto eine Bombe hochgehen: die Preise für beste Schauspielerin/bester Schauspieler waren an die Falschen gegangen! Zu früh hatten sich die wunderschöne Ruffa Gutierrez (sie trug an diesem Abend einen goldenen Traum aus Tüll mit bodenlangem, blauen Schleier) und ihr Leinwandpartner Gabby Concepcion gefreut, die im Film „Loretta“ als Ehepaar Bobbitt das amerikanische Drama um den abgeschnittenen Schwanz nachempfunden hatten. Gretchen Barretto vertraute ihr Wissen dem Bürgermeister an. Lim, der im Volksmund wegen seiner bigotten Bordellpolitik „Dirty Harry“ genannt wird, wurde fuchsteufelswild und schwor, die schmutzige Affaire rückhaltlos aufzuklären. Zunächst wurde ein anderes Jury-Mitglied, Viveka Babajee, die Schönheitskönigin von Mauritius, verdächtigt, die Briefumschläge vertauscht zu haben, da sie überstürzt am Morgen nach der Preisverleihung nach Hongkong geflohen war. Aber am Ende war die Hauptschuldige Gabbys Managerin Lolit Solis, die nach einem mißglückten Selbstmordversuch (Valium) heulend vor laufenden Fernsehkameras gestand: „I did it for love“ – Gabby sei für sie wie ein Sohn. Alles in allem erinnerte die Preisverleihung an den lustigen Showdown in „Nackte Kanone 33 1/3“. Zwei Wochen lang beherrschte der Skandal die philippinische Presse und degradierte die präsentierten, neuesten Melodramen und Actionfilme zu bloßen Nebensächlichkeiten. „Loretta“ allerdings wurde wenige Tage nach dem Skandal auf Drängen von „Dirty Harry“ aus dem Programm genommen. Mit täglich neuen Morddrohungen, Enthüllungen und hysterisch um sich schlagenden Stars hatte die Wirklichkeit in Hollywood-Manila das philippinische Kino an Ereignisreichtum überboten. Seit der Erschießung des Freiheitskämpfers Ninoy Aquinos durch Marcos-Getreue sei so etwas Hinterhältiges nicht mehr passiert, schrieb ein Kommentator im Manila Bulletin.
Weitreichenden Verstrickungen zwischen Showbiz und Politik herrschen im Land der 7.000 Inseln. „Nehmen Sie unseren Vize- Präsidenten Joseph Estrada zum Beispiel“, meint Noel Reyes, ein filmbegeisterter Arzt aus Cebu- City, „der macht jetzt auf höchster Regierungsebene, womit er als Schauspieler berühmt geworden ist: er jagt Gangster. Und wer weiß, was für Ambitionen Cory Aquinos Tochter Kris hat, die derzeit als ,Massaker-Queen‘ in jedem dritten Action-Film ermordet wird.“
Die Voraussetzungen für die regen Beziehungen zwischen Film und Politik hatte dereinst Imelda Marcos geschaffen. An ihre legendären Festivals, an die Bankette und an die Karawanen weißer Limousinen erinnerten sich einige der diesjägigen Festivalgäste mit wohligem Grusel, und kaum jemand ließ es sich nehmen, Imeldas angeberischen Filmpalast am Ufer des Pasig-Flusses zu besichtigen, der als vergessenes Betonmonster pathetisch vor sich hingammelt.
Das alles bildete früher den repräsentativen Rahmen für eine bis heute sehr stabile Filmindustrie, die sich nicht zufällig auf den Philippinen angesiedelt hat. 120 Spielfilme wurden im vergangenen Jahr produziert, und die Filipinos kann man nicht anders als kinosüchtig beschreiben. „Wir sind von den Amerikanern ziemlich genau zu dem Zeitpunkt kolonialsiert worden, als der Film erfunden wurde – die Kolonialisierung verlief quasi parallel zum Aufstieg Hollywoods. Als einziger Außenposten der USA im Orient lag es nahe, daß Manila systematisch zu einer Filmmetropole gemacht wurde – eine Ausgangsbasis für die Verbreitung amerikanischer Filme in ganz Asien. Mittlerweile haben wir gelernt, die Filmindustrie selber zu managen.“ Nick Deocampo aus Manila weiß das spezifisch amerikanische Erbe zu schätzen. Er ist unabhängiger Filmemacher und einer der Vorsitzenden von Netpac (Network for the Promotion of Asian Cinema), die im Schatten des Filmfestivals eine ziemlich beeindruckende Konferenz veranstaltet hat.
Vor vier Jahren wurde Netpac in Neu-Dehli gegründet, als ein Analogon zu regionalen Filmverbänden, wie es sie in Afrika oder Lateinamerika längst gibt. Gemeinsam mit einem breiten Publikum von einheimischen Filmprofis war die Konferenz als ein Diskussionsforum geplant. „Die philippinische Filmindustrie befindet sich in einer entscheidenen Umbruchphase“, so Nick Deocampo. „Mit einem Wirtschaftswachstum von 4,8 Prozent beginnt sich auch die gesamte Kulturszene hierzulande zu verändern. Dabei ist das Besondere der philippinischen Filmindustrie der Erfolg einheimischer Produktionen – trotz massiver amerikanischer Präsenz spielen unsere Filme oft mehr Geld ein als die West-Importe. Jetzt kommt es darauf an, daß wir diese ökonomische Situation nicht ungenutzt verstreichen lassen, zumal die Regierung eine gewisse Risikobereitschaft signalisiert hat, was die Förderung des unabhängigen Films betrifft.“
Mit Filmen wie „Der parfümierte Alptraum“ von Kidlak Tahimik oder „Macho Dancer“ von Lino Brocka hatte sich die philippinische Filmszene einen samtenen Sessel in der Welt des unabhängigen Kinos reserviert. Nick Deocampo: „Aber als Imelda Marcos die Bedeutung des Kinos neu definierte und versuchte, alles und alle unter Kontrolle zu bekommen, ging bei uns ein ,goldenes Zeitalter‘ zu Ende. Anfang der Achziger, nach der Ermordung Aquinos, haben wir als Filmstudenten versucht, an die Bewegung der 60er anzuknüpfen. Wir haben damals auch das Oberhausener Manifest verteilt. Jetzt ist der Moment gekommen, wo wir Chancen haben, unsere Forderungen zur Förderung des unabhängigen Films durchzusetzen.“ Das scheint dringend notwendig, denn die talentiertesten jener Filmemacher, deren Super-8-Filme noch vor einigen Jahren auf allen möglichen Festivals zwischen Berlin und Sydney zu sehen waren, sind mittlerweile in die Werbung abgewandert und werden wohl auch da bleiben, wenn die Industrie ihnen keine anderen Arbeitsmöglichkeiten bietet. Daß es von Seiten der reichen Studiochefinnen – es handelt sich tatsächlich fast ausschließlich um Frauen! – durchaus Interesse gibt, nach indischem oder chinesischem Vorbild sogenannte „Qualitätsfilme“ auf den Philippinen zu produzieren, wurde auf der Netpac- Konferenz ein ums andere Mal deutlich.
Zum Zeichen ihrer Sympathie für die „Unabhängigen“ lud zum Beispiel Lily Monteverde, das weibliche Pendant zu Spielberg in Manila, die Netpac-Konferenz zu einem Empfang in ihre Residenz, wo zwischen Spanferkeln und Madonnenfiguren auf mehreren Monitoren die Trailer zu ihren wilden Actionthrillern zu sehen waren. Für wohlgesonnene Entscheidungsträger wie „Mama Lily“ besteht das größte Handicap bei der Realisierung von Qualitätsfilmen mit „floating money“ aus rein kommerziellen Produktionen in dem rigiden System, mit dem die philippinische Regierung die Einnahmen der Filmindustrie besteuert. 52 Prozent von jedem erwirtschafteten Peso verlangt der Staat und zwingt damit Produzenten und Kinobetreiber, bei neuen Filmen vor allem darauf zu achten, ob sie auch ausreichend mit erfolgversprechenden Ingredienzen versehen sind: Blut, Liebe, Action, nach bewährtem philippinischen Rezept vermengt. Die Resultate – so erfolgreich sie in den riesigen philippinischen Kinos auch sein mögen – haben auf dem internationalen Markt noch keine Liebhabergemeinde gefunden.
Fehlendes Geld ist aber nicht das einzige Problem für die unabhängige Filmszene auf den Philippinen. Im hypertroph katholischen Land agiert eine Zensurbehörde, die auf feinsinnige Art und Weise nackte Brüste und aufgeschlitzte Bäuche zu unterscheiden versteht, letzteres in aller Regel erlaubt, ersteres verbietet, sobald mehr als eine davon auf der Leinwand zu sehen ist.
Als die Chefin der Zensurbehörde auf der Netpac-Konferenz erschien und sich als eine Frau vorstellte, die ihre Berühmtheit einzig und allein ihren unpopulären Entschlüssen zu verdanken hat – da lachten alle. Halb über den Witz, halb freute man sich tatsächlich über ihre Anwesenheit. Denn ihr späteres Kopfnicken, als jemand die vollständige Abschaffung der Zensur forderte, wurde allseits registriert und als winziger Gesetzbruch wie eine frohe Botschaft für die Zukunft gewertet.
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