: Shanghai – die alte Liebe der Hamburger Kaufmannschaft
■ Schon seit 200 Jahren zieht die chinesische Metropole hanseatische Kaufleute in ihren Bann / Ohne Marktpräsenz in Asien wird kein größeres Unternehmen das 21. Jahrhundert meistern
Verfolgte Oppositionelle, ausgebeutete Werktätige, Kinder- und Gefangenenarbeit, katastrophale Umweltverschmutzung sind nur die Lachfalten der chinesischen Geliebten der Freien und Hansestadt Hamburg. Shanghai – Millionenmoloch, asiatische Metropole, sie hat das gewisse Etwas, das Hamburger Kaufleute schon seit 200 Jahren anzieht. Sie ist der Überseehafen Chinas, das Einfallstor zu dem seit Marco Polos Zeiten sagenumwobenen chinesischen Markt.
Den Weg zu diesem Liebesabenteuer ebnete 1978 Deng Xiaoping mit seiner mehrstufigen Reform und Öffnung des chinesischen Wirtschaftssystems. Diese Öffnung wirkte wie orientalisches Parfüm und versetzte westliche Wirtschaftslenker sowie Politiker in eine wahre Chinaeuphorie. Plötzlich wandelten sich die asiatischen Kader einer kommunistischen Weltrevolution in weise Wirtschaftslenker und die blauen Ameisen in fleißige Bauern, gewiefte Händler und Kleinunternehmer.
Tatsächlich schwoll das Gesamtvolumen des deutschen Wirtschaftsverkehrs mit China bis 1992 um das Fünffache an. Hamburg partizipierte als Dienstleistungsanbieter und Firmenstandort erfolgreich an dieser Entwicklung. Es lag nahe, zarte Bande zu der Perle Shanghai zu knüpfen. So wurde 1986 die Erklärung zur Intensivierung der freundschaftlichen kooperativen Beziehungen unterschrieben und ein „Hanse-Cooperation-Office“ in Shanghai gegründet. Mittlerweile sind auch in Hamburg zirka einhundert chinesische Firmen und Organisationen vertreten.
Doch 1989 zerstoben wirtschaftsliberale Phantasien unter den Schlägen der alten Revolutionäre gegen ihre Opposition auf dem Tiananmen-Platz. Hervor trat die vergessene Härte des Regimes, aber auch die komplexen sozialen und wirtschaftlichen Probleme eines Entwicklungslandes auf dem langen Marsch in den Wohlstand. Nahezu gleichzeitig kehrte sich auch die bis dato für Deutschland positive Handelsbilanz um und erreichte 1991 ein Rekorddefizit von zirka 7,5 Milliarden Mark. Hamburg kann dies nicht erschrecken; ist man doch selbst Tor zum deutschen Osten und der angrenzenden Region für chinesische Billigwaren geworden.
Trotz der gegenwärtigen Belastungen im Verhältnis zu China scheint es, daß ohne die Marktpräsenz in Asien kaum ein größeres Unternehmen das 21. Jahrhundert erfolgreich meistern wird. China nimmt eine Sonderstellung ein, da in dem chinesischen Wirtschaftsraum die nationalstaatlichen Grenzen langsam verschwimmen. Ein Netzwerk an informellen Strukturen der chinesischen Sonderwirtschaftszonen mit den chinesischstämmigen Wirtschaftseliten der pazifischen Nachbarn wird sichtbar. Kulturelle Traditionen, Sprache und die besonders wichtigen persönlichen Beziehungen bilden hier die wirtschaftliche Vertrauensgrundlage. Gerade hier besitzt Hamburgs Kaufmannschaft durch die langjährigen offiziellen und informellen Kontakte von Politik und Wirtschaft eine stabile Basis. Ihnen wird es nun darum gehen, sich einen Teil der zukünftigen chinesischen Großinvestitionen des achten Fünfjahresplans im Bereich des Infrastrukturausbaus, wie Telekommunikation und Transport zu sichern.
Rattana Schicketanz
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