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Die Stadt der vielen Türme

■ Lübeck, Hamburgs schöne Hanseschwester: Ein Besuch lohnt immer (wieder), im Sommer wie im Winter, bei Sonne, Wind oder Regen

Mann!! „Meinem Sohn Christian dagegen traue ich die sittliche Reife nicht zu, deshalb usw. usf.“ Mannomann, das war schon was, so eine Testamentseröffnung vor hundert Jahren! Mag ja sein, daß man sich zeitlebens mit dem Alten (vom Typ “Sey mit Lust bey den Geschäften usw.“) nicht so besonders grün war – aber mal ehrlich: Mußte denn das nun sein? Auch noch posthum ein ebenso kräftiger wie gezielter Tritt in die Kniekehlen?! Der Alte wußte, was er wollte, sagte, was er dachte. Auch noch, nachdem er das Zeitliche gesegnet hatte. Von dem komm mal einer los!

Wo solche und ähnliche Einsichten zu haben sind? Im berühmten Buddenbrookhaus in Lübecks Mengstraße, einer der jüngeren Museumseinrichtungen in Hamburgs schöner Hanseschwester. Seit Mai vergangenen Jahres gibt es in diesem stattlichen Patrizierbau von 1758 das „Heinrich und Thomas Mann-Zentrum“. (Mann-)Familiendokumente sind hier zusammengetragen, Fotos, Briefe, alles über den frühen Ruhm und den (ebenso frühen) „Bruderzwist“ und ein absolut ausgefeiltes „Who-is-who“ der kompletten Buddenbrook/Mann-Mischpoke Da gibt's sehr viel zu studieren.

Aber auch das klassische Mittelalter kann uns wie eh und je in seinen Bann ziehen: zum Beispiel im Stadtgeschichtlichen Museum im Holstentor – mit der gut bestückten Folterkammer im Keller. Gefoltert wurde in diesen historischen Mauern angeblich nicht; aber die hier zusammengetragenen Werkzeuge sind vollkommen ausreichend, um uns postmodernen Geistern kalten und heißen Angstschweiß wechselweise über den Rücken zu jagen: Da ist die „Eiserne Jungfrau“, die dem Opfer die Haut aufschlitzte. Zangen und Stangen und Nägel und Nadeln ohne Zahl, mit deren Hilfe sich jedes Geständnis erpressen ließ. Und Räder und Streckbänke und dergleichen Scheußlichkeiten mehr, die hervorragend geeignet waren, manch armem Sünder auch noch die allerletzte Gräte im Leib zu zerfetzen. Ja, wirklich: Kommt man aus dem Horrorkeller wieder ans Tageslicht, so ist eitel Freude, daß die Vorsehung uns nicht im Mittelalter absetzte. Auch nicht zu Kaisers Zeiten – siehe oben.

Lübeck heute: Die überkommenen und nach Kriegszerstörungen wieder aufgebauten Zeugnisse der Geschichte prägen das Stadtbild. Die Stadttore: das Burgtor aus dem 13. und das Holstentor aus dem 15. Jahrhundert. Die Gassen und Gänge: Engels-, Becker- und Fischergrube, Von-Höveln-Gang, auch die Mengstraße. Das Rathaus: erbaut vom 13. bis zum 15. Jahrhundert, mit Stilelementen von Gotik bis Renaissance, davor die „gute Stube“, der Markt. Die Wohnstifte für Witwen und Verarmte, teils aus dem 17. Jahrhundert: Füchtingshof, Glandorps-Gang, Haasenhof.

Und die Kirchen – man muß, um sie beeindruckend zu finden, nicht der Typ sein, der im Urlaub in jedes Gemäuer rennt, bloß weil oben ein Kreuz draufgesetzt ist. Sieben Türme insgesamt: zwei vom Dom, zwei von der Marienkirche, außerdem steuern Petri-, Aegidien- und Jacobikirche jeweils ein Stück bei. Macht sieben, und die historische Stadtsilhouette wäre damit komplett. Wer wollte so kühn sein zu behaupten, daß Hamburg Vergleichbares präsentieren kann?

Also gut, wem der Sinn nach ganz anderem steht, der kann heute abend im Werkhof in der Kanalstraße das Frumpykonzert mit Inga Rumpf noch einmal anhören (21 Uhr, Kanalstraße 40). Am 30. Juli läßt sich solch eine Tour durchaus wiederholen, zum Musikfestival gegen Intoleranz (19 Uhr). Mit den Cambrics, Red Clouds, Band Full of Leroys. Johann Peter Nissen

Informationen: Lübecker Verkehrsverein, Postfach 1205, 23502 Lübeck, Telefon: 0451 / 72300.

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