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Die Braunschweig–Kasan-Connection

Wie funktioniert sie? „Super!“ Über den Jugendaustausch in die Partnerstadt  ■ Von Helmut Höge

Auf dem Moskauer Inlandflughafen Domodetjewo. Das kleine zweistöckige Gebäude hat eine wunderbare Bar. Und man trifft dort jede Menge Leute, die einem bereitwilligst alles über sich erzählen. Eine Gruppe Braunschweiger Schüler, auf dem Weg zur Partnerstadt Kasan, sitzt hier schon 24 Stunden fest. Ich nutze die Gelegenheit und bitte einige von ihnen, mir etwas über ihre ungewöhnliche Schülerreise zu erzählen. „Für welche Zeitung arbeiten Sie?“ – „Für die taz!“ – „Na dann!“

Die Partnerstadt von Braunschweig ist Kasan an der Wolga. Es gibt schon lange einen regen Austausch – zwischen Sportvereinen, Hochschulen und Firmen. Und bei der Messeausstellung „Harz und Heide“ bezahlt man den Interessenten aus Kasan zum Beispiel die Hotelkosten. Laufend heißt es, wenn jemand nach Kasan fährt: Hier, kannst du das für den und den mitnehmen? Für den Jugendaustausch ist extra eine kleine Abteilung im städtischen Jugendamt zuständig, die haben sich auch ausgedacht, wie umgekehrt Kasaner Familien beziehungsweise Jugendliche nach Deutschland kommen können, die nicht so viel Geld haben.

In den Kasaner Schulen gibt es Deutsch-Wettbewerbe, die Besten dürfen dann mit hierher. Acht aus unserer jetzigen Gruppe waren schon mal in Tatarstan, so heißt die Region um Kasan. Das war im vergangenen Jahr, wo sich einige wegen des Putsches in Moskau abgemeldet hatten, aus Angst, daß was passiert. Die meisten von uns haben Russisch als zweite Fremdsprache gehabt, einige kommen von Waldorf-Gymnasien, einer ist Ersatzdienstleistender, für den ist das ein Bildungsurlaub. Wir sind zwischen 15 und 25 Jahre alt. Nicht alle kommen jedoch aus Braunschweig. Aus Ostdeutschland kommt nur einer, aus Hoyerswerda. 650 Mark kostet die Fahrt, letztes Jahr hat alles die Stadt bezahlt.

Wir haben jetzt wieder alle zusammen ein zweitägiges Vorbereitungsseminar im Harz absolviert. Das hat eine ganze Menge gebracht. Es war jedoch zu viel auf einmal – über russische Geschichte, deutsch-russische Beziehungen usw., dazwischen immer wieder alle möglichen Kennenlernspielchen. Einen Film über russische Kinderbanden haben sie uns auch gezeigt, wo die Miliz nicht eingreift. Das war richtig aufbauend!

Im letzten Jahr bin ich in der Innenstadt von Kasan mal mitten in so eine Gruppe von Jugendlichen reingeraten. Die anderen haben daraufhin Ketten gebildet und mich rausgerissen. Abends geht man dort nicht mehr auf die Straße. Die Discos schließen um sechs, Freundschaftsabende gehen auch von drei bis sechs. Für die Mädchen aus meiner Familie war es „reiner Wahnsinn“, daß die Disco bei uns in Hannover bis drei Uhr morgens aufhat. Man hat uns gewarnt, Taxi zu fahren.

Unser Reiseveranstalter hat einen superteuren Volvo-Bus, die besitzen sogar drei davon, damit fuhr man uns überall hin – selbst hundert Meter weite Strecken. Man kam sich schon richtig bescheuert vor. Andererseits sind sie dort wirklich auch alle an westlichen Vorbildern orientiert, wollen alles genauso haben. Einer von uns wurde von dem Vater der Familie einmal der Fluß gezeigt, an einer Stelle, wo die Kama in die Wolga fließt und das andere Ufer etwa 1.800 Meter entfernt ist: „Euer Rhein ist sicher sehr viel breiter“, hat er entschuldigend gemeint. Kasan ist eine große Stadt mit über einer Million Einwohnern.

Unser Programm sieht diesmal vor: drei Tage Moskau, das haben wir hinter uns, und dann zwölf Tage Kasan: Empfang beim Bürgermeister, Aufenthalt in Familien, Tagesexkursionen, zum Lebjashjesee und eventuell in eine Fabrik, verschiedene Theater- und Gemäldegalerie-Besuche, Freundschaftstreffen mit Studentengruppen und eine Begrüßungsparty, die wir uns wegen der Flugverspätung aber wohl abschminken können.

Beim letzten Mal waren wir in ganz unterschiedlichen Familien untergebracht, ganz reiche, aber auch ganz arme – auch die haben uns mit wertvollen Geschenken überhäuft. Alle sind supergastfreundlich! Sie geben aber nicht zu, wenn es ihnen schlechtgeht. Die meisten sind unpolitisch, sie beklagen sich, daß es oft nur überteuerte ausländische Produkte zu kaufen gibt. Es waren auch Mafia-Familien darunter: ein Kioskbesitzer, der Schutzgeld bezahlen mußte, und das aber auch konnte. Einmal sind wir in einen Mafia-Discoclub reingeraten. Sonst haben wir in Kasan aber bisher nur gute Erfahrungen gemacht. Es gibt dort ein Pionierhaus, das jetzt eine Art Jugendzentrum ist. Dort wird auch gearbeitet, die haben Drehbänke und alles, sie stellen Stofftiere her und bauen Go-Karts.

Einige der Gastgeber haben keine Arbeit mehr. Eine arbeitslose Lehrerin beispielsweise fliegt regelmäßig nach Moskau zum Einkaufen und verkauft das dann in Kasan auf dem Markt wieder, davon kann ihre Familie leben. Sie haben dort einen starken Familienzusammenhalt, und die Oma wohnt meist bei den Kindern. Altersheime finden sie unmenschlich. Sämtliche Verwandten kamen zu Besuch, um den Gast aus dem Westen kennenzulernen.

Die meisten Familien leben in Wohnkomplexen, einige aber auch in Holzhäusern, teilweise fünf Leute in einer Zweizimmerwohnung, aber dem Gast überläßt man das Schlafzimmer – für ihn alleine. Nur eine aus unserer Gruppe übernachtete im Hotel, ihre Familie holte sie jeden Tag in ihre kleine Wohnung ab.

Einmal haben wir mit Orthodoxen auf dem Land ein Fest gefeiert: Alle Leute aus dem Dorf haben dazu was zusammengetragen und dann mit unserer Gruppe gefeiert. Eine Mutter hatte extra einen Tag frei genommen, um zu kochen, damit sie für die zwei Gäste ihrer Tochter richtig auftafeln konnte. Man darf nie sagen: Das ist aber eine tolle Schallplatte – dann kriegt man sie sofort geschenkt. Das ist mir passiert!

Die Geschenke von uns sind dagegen alle blöd, weil wir uns die Sachen sofort zu Hause wiederbesorgen können. Andererseits kann man mit Schokolade und Pralinen nie was ganz falsch machen, und wenn man schon mal da war, weiß man in etwa, was benötigt wird. Außerdem lassen wir auch Geld da in den Familien, für unseren Aufenthalt.

Vieles ist dort nicht so heile, man muß rumbasteln. Das macht aber Spaß. Mir ist mal beim Telefonieren das Telefon auseinandergefallen, das habe ich dann mit Lüsterklemme und Tesafilm wieder zusammengeklebt, es war anschließend besser als vorher. Diesmal haben wir einen Werkzeugkasten mit. Kaffee und Tauchsieder und so was auch.

Bevor es losgeht, ist erst mal Kennenlernabend: da sind immer mehr Familien anwesend als deutsche Gäste – die Familien, die keinen abkriegen, sind ganz traurig. Eine Sport- und Musiklehrerin wollte beim letzten Mal einen sportlichen, an Musik interessierten Schüler aufnehmen. Den sie dann gekriegt hat, der war aber so was von unmusikalisch.

Anschließend beim Empfang des Bürgermeisters und seiner Dezernenten gab es viele Fragen – und viele Ausreden. Ganz schlimm war es bei der Redaktion einer Jugendzeitschrift. Die ehemaligen Komsomolzen dort wollten uns überzeugen, daß sie jetzt ganz umgekehrt sind und schon immer offen waren. Wenn man jedoch ein bißchen direkter gefragt hat, dann kam nur Blabla. Bei denen war das ganz extrem, also ziemlich gezwungen das Ganze. Was sie uns zum Thema Prostitution in Devisenhotels oder Abtreibung zum Beispiel erzählten, das stimmte hinten und vorne alles nicht.

Fällt einem von euch noch ein komisches Erlebnis ein? fragte ich zum Schluß. Ja, einmal waren wir im Übungskeller einer Kasaner Band. Als der eine Musiker die E-Gitarre anschlug, gingen in der ganzen Straße die Lichter aus.

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