■ Ein Grilltimer zum Schutz gegen Hautkrebs
: Garen mit System

Essen (taz) – Jetzt sind sie wieder unterwegs, belagern Schwimmbäder, Parks und Strände: Männer und Frauen, die entgegen jedem gesunden Fluchtreflex in Richtung Schatten die pralle Sonne suchen und alle Hüllen fallen lassen, um ihrem Körper eine nahtlose, streifenfreie Braunfärbung zu verpassen.

„Diese Leute sind komplett verrückt“, lautet das Urteil des Dermatologen Professor Peter Altmeyer über die Sonnenanbeter. „Spätestens in zehn Jahren werden die meine Patienten sein – frei nach dem Motto: Fry today, pay later.“ Altmeyer ist Chefarzt der dermatologischen Klinik des Bochumer St.-Joseph-Hospitals. Er ist täglich mit den Folgen hemmungsloser Sonnenbäder konfrontiert. Angesichts steigender Hautkrebsraten kam ihm vor zwei Jahren die Idee, dem Verstand der Bräunungsfetischisten mit einem elektronischen Sonnenbrandmelder auf die Sprünge zu helfen.

Das zigarettenschachtelgroße Gerät ist mit einem Mikroprozessor, UV-Sensoren und einer Eingabetastatur ausgestattet. Wer trotz aller Warnungen dem Drang in die Sonne nicht widerstehen kann, gibt seine individuelle Hautempfindlichkeit an, den Grad der Vorbräunung sowie den Lichtschutzfaktor der Sonnenmilch. Man muß den Sonnenrechner neben sich im Liegestuhl plazieren: Das Gerät schlägt Alarm, sobald die Sonneneinstrahlung einen Wert erreicht, bei dem ein Sonnenbrand droht. Entwickelt wurde der Grilltimer in Zusammenarbeit mit dem einst größten Fernsehgerätehersteller der ehemaligen DDR in Staßfurt, der über die nötigen hochempfindlichen UV-Sensoren verfügt. Derzeit wird das Gerät in einem Praxistest von 100 UrlauberInnen erprobt, die sich als Versuchskaninchen gemeldet haben und nun an Adria und Costa Brava auf elektronischem Wege dem Sonnenbrand entgehen wollen. Im Laden soll das Gerät später unter 100 Mark kosten.

Doch braucht man wirklich High-Tech-Equipment, wo es ein bißchen gesunder Menschenverstand auch tun würde? „Prinzipiell kann das tatsächlich jeder selbst beurteilen“, stimmt Altmeyer zu. „Wichtig ist aber, daß die Leute verstehen, daß sie sich im Hochgebirge oder am Mittelmeer einer aggressiveren Sonne aussetzen als zu Hause in Castrop-Rauxel oder Berlin-Buch.“

Der Sonnenbrand, von vielen knallroten Pauschalurlaubsreisenden wie eine Jagdtrophäe stolz zur Schau gestellt, ist nämlich alles andere als ein Kavaliersdelikt. Je nach Hauttyp verkraftet der Mensch nur eine bestimmte Anzahl von Sonnenbränden – „dann flippt die Haut aus und entwickelt einen Hautkrebs, der nur mit chirurgischen Mitteln zu behandeln ist“.

Der Anstoß für die Entwicklung des Sonnenbrandmelders kam von einer detaillierten Studie, die einen deutlichen Anstieg der Hautkrebsrate ermittelt hatte. Wissenschaftliche Untersuchungen in Australien und Kalifornien kamen zu ähnlichen Ergebnissen. „Bei der Suche nach der Ursache stießen wir dann auf den einzigen gemeinsamen Nenner, und der ist in diesem Fall die UV-Strahlung“, sagt Altmeyer. Tatsache sei, daß die Leute heute öfter und länger in die Sonne gehen. „Die Menschen haben mehr Freizeit und nutzen sie auch – im Freien“, erläutert Altmeyer.

Was bringt die Zukunft den sonnengierigen Insassen des Kohlschen „kollektiven Freizeitparks“? Massenweise Hautkrebs und den Kollaps der Krankenkassen? Verplombte UV-Dosimeter um den Hals wie bei Nukleararbeitern? Für Altmeyer ist der Fall klar: „Das Schönheitsideal lautet wieder: Blaß is beautiful“! Joachim Hiller