■ Berlusconis Rechnung geht nicht mehr so einfach auf
: Steht Italien vor Neuwahlen?

Monatelang hat Silvio Berlusconi geradezu traumwandlerisch die Neigungen der Bürger erahnt und war sich vor allem immer klar darüber, wo die Grenzen der Zumutbarkeit für Volk und Ausland liegen. Nun ist der erste Riß da. Vielleicht wäre alles anders verlaufen, wäre Italien Weltmeister geworden — ein Land, das nach der schönen Erklärung des in Cannes preisgekrönten Nanni Moretti „nur dann rebelliert, wenn man ihm Fußball und Fernsehen wegnimmt“, würde beim Titelgewinn alles, aber auch alles vergessen und vergeben. Doch nun richtet sich der Blick der Italiener fast drohend wieder auf die Politik.

Das Freilassungsdekret, das die Krise ausgelöst hat, und die Erklärungen des Innenministers Maroni, die von Betrug im Kabinett sprechen, stehen so plötzlich im Mittelpunkt einer Diskussion, die Berlusconi ganz anders programmiert hatte: Er wollte seine Koalitionspartner zum Bündnisbruch treiben, um sich dann als der verhinderte Sanierer des Landes zu präsentieren und dann bei Neuwahlen zum Alleinherrscher zu avancieren. Vieles hatte er hierzu schon vorbereitet, von der Verfassungsdebatte (wo er den Regionalismus der Ligen scheitern lassen wollte) bis zur Frage der Grenzverträge mit den Ländern des ehemaligen Jugoslawien (womit er die auf Großmacht pochenden Neofaschisten zwicken konnte).

Nun aber hängt ihm ausgerechnet das Freilassungsdekret am Bein und damit jene Maßnahme, die ihn aus mehrerlei Gründen besonders belastet: Bei seinen Hinterleuten und Gönnern steht er im Wort, ihre strafrechtliche Situation möglichst schnell zu „sanieren“; aus dem fernen Tunis droht Ex-Busenfreund Bettino Craxi bereits unverhohlen, er werde über seine Zeit als Ministerpräsident auspacken (in der er zum Beispiel Berlusconi über Regierungsdekrete vor der Abschaltung seiner illegal betriebenen Sender bewahrt hatte). Gleichzeitig aber wird die durch das Dekret veranlaßte Haftverschonung der Politiker und hohen Beamten, Unternehmer und Manager beim Volk als bedenkliches Zeichen einer Rückkehr zu den alten Zeiten der „Unantastbarkeit“ angesehen.

Damit aber ist nicht nur der Begünstigungsversuch aufgeflogen — auch die ihm noch treuen Partner werden sich künftig hüten, Berlusconis Ruckzuckverfahren mitzumachen. Sie werden von nun an darauf bestehen, daß alles über eine parlamentarische Prozedur abläuft und nicht mehr über den Dekretweg. Das nimmt Berlusconi die Chance just zu jenen Vorstößen, die er noch braucht, um seine Freunde endgültig zu retten: etwa mit einer Änderung des Parteienfinanzierungsgesetzes oder den Normen über die Offenlegung von Unternehmensbilanzen (mit deren Hilfe die Staatsanwälte die meisten Schmiergeldfälle überhaupt erst dingfest machen konnten). Und völlig absurd erscheinen nun auch die Versuche, den durch den Rücktritt der Sonderermittler von „Mani pulite“ evidenten Verfassungskonflikt zu verniedlichen oder als Starallüren der Staatsanwälte zu denunzieren.

Das bringt die gesamte generalstabsmäßige Planung der nächsten Monate durcheinander. Bei Wahlen im Herbst wäre ein Bündnis wie bisher etwa mit den Ligen nicht mehr möglich. Damit würde sich die Basis Berlusconis auf seine eigene „Forza Italia“ und die Neofaschisten verdünnen, und das ist nicht nur schädlich fürs Image im Ausland, sondern angesichts des geltenden Mehrheitswahlrechts auch eine zu unsichere Basis für die Durchsetzung hinreichend vieler Abgeordneter. Die einzige „Rettung“, die er derzeit wohl noch sieht, liegt in der Zerrissenheit der Opposition. Das allerdings könnte sich schon bald ändern. Meinungsumfragen bestätigen der „Demokratischen Partei der Linken“ seit der Auswechslung ihrer Führung nicht nur steigenden Konsens, sondern auch den Wunsch vieler Bürger nach einer Zusammenarbeit regimekritischer Kräfte. Und hierzu zählen auch die Ligen. Werner Raith, Rom