Ohne jedenTaktstock

■ Vorschau auf die neuen Konzerte der Deutschen Kammerphilharmonie

Als „Heimspiel“ bezeichnet Matthias Beltinger, 32, Kontrabaß und Vorstandsmitglied der Deutschen Kammerphilharmonie, das vertraute Gefühl des Orchesters nach zwei Jahren in Bremen. „Die Leute kommen nicht weil wir die Eroica spielen oder Gideon Kremer geigt, sondern um uns zu hören, das ist doch schon mal was.“ Entstanden ist diese glückliche Ankunft in Bremen mit einem Programm, das die Besonderheiten des Orchesters ins rechte Licht setzt.

Erwin Schulhoff, mit dem die Kammerphilharmonie am 22. September ihre Bremer Konzertsaison beginnt, bestätigt das Konzept der Wiederentdeckung des Ungewöhlichen. Der vor hundert Jahren geborene jüdische Komponist gehört zu den lange vergessenen Tonsetzern der Moderne. 1932 vertonte er noch mit zeittypisch kämpferischem Pathos das Kommunistische Manifest. 1941 starb der Bewohner des Prager Jüdischen Getthos im Internierungslager. Es folgt das Novemberkonzert, das mit dem Dirigenten Paavo Berglund ganz nach Skandinavien weist. Neben dem Standard-Nordländer Jean Sibelius wird auch Carl Nielsen und der noch lebende Finne Jonaas Kokkonen mit dem poetischen Titel „Durch einen Spiegel“ zu hören sein. Beim letzten Konzert in diesem Jahr: Mozarts Serenade in c-moll, Tschaikowskys Nußknackersuite und einer Alpbacher Tanzserenade des noch lebenden Gottfried von Einem, wird die Deutsche Kammerphilharmonie wieder an eine ihrer musikalischen Traditionen anknüpfen. „Befreit von der Diktatur des Taktstocks“ könnte man das Konzept nennen, nach dem die Musiker sich das Spiel ohne Dirigent auch bei schwierigsten Stücken vorgenommen haben. Das stärkt das Zusammenspiel und Gruppengefühl. Schließlich sagen die Kammerphilharmoniker von sich: „Kulturpolitisch sind wir eine freie Gruppe“

Für das erste Konzert in kommenden Jahr, bei dem Richard Strauss' „Metamorphosen“, Studie für 23 Solostreicher auf dem Programm steht, wird dann wieder der Taktstock geschwungen. Thomas Hengelbrock, künstlerischer Leiter des Orchesters zeichnet hier verantwortlich.

Im März wird der Russe Mikhail Pletnev diesen Part übernehmen, wenn Mozarts Klavierkonzert d-moll KV 466 erklingt. Den Abschluß der Reihe der Abonnentenkonzerte bilden die Bläsersolisten mit einer ungewöhnlichen Stückauswahl von fünf recht unbekannten französischen Komponisten dieses Jahrhunderts. Das ist dann in der kommenden Saison die definitiv letzte Chance, die Kammerphilharmonie bei der Wiederentdeckung vergessener Komponisten zu hören.

Susanne Raubold