: „Laßt uns in Frieden“
Die italienische Minderheit im kroatischen Istrien will nichts von einer Revision der Grenzen wissen ■ Aus Istrien Werner Raith
Micael Bernardis Hand weist hinunter auf den langgezogenen Strand. „Das sind alles Kriegsschäden, alles zerstört, kaputt.“ Kriegsschäden? Kein Bombentrichter ist hier am Strand vor Opatija auf der kroatischen Halbinsel Istrien zu sehen, keine Ruine, kein Grabkreuz wie in so vielen anderen Orten des ehemaligen Jugoslawien – und doch vom Krieg zerstört? Eher scheint dies eine Oase der Ruhe zu sein, nicht allzu viele Menschen am Strand, der sich sauber und gepflegt gibt. „Eben“, beharrt Micael, „eben: die wenigen Menschen, das ist der Kriegsschaden. Obwohl hier seit drei Jahren absoluter Frieden herrscht, der Tourismus will und will nicht wiederkommen. Siehst du da unten die langen Zäune mit den Binsenmatten? Alles ehemalige Strandbars, Badekabinen, Depots für Liegestühle und Schirme. Heute hausen da Eidechsen und Ratten, wir haben alles notdürftig abgesperrt, weil wir es nicht instand halten können mit dem wenigen Geld, das wir noch verdienen. Und jetzt auch noch das“ – er zeigt auf eine nicht allzu große, zum Teil bereits eilig mit Weiß überpinselte Schrift an der Seitenwand seines Hauses: „Istria italiana“, italienisches Istrien, steht da. „Das hat uns gerade noch gefehlt.“
Landauf, landab, ob im traditionell politisch bewegten Fiume – wo Gabriele D'Annunzio 1919 die „italienische Regentschaft“ ausgerufen hat – oder an der italienischen Universität von Pula, ob auf der Insel Krk, oder in Pazin, im Landesinneren, sind inzwischen regelrechte Putzkolonnen unterwegs, die nationalistische Graffiti so schnell wie möglich beseitigen: Man fürchtet Reaktionen der kroatischen Regierung. „Die meisten Parolen wurden nicht von unseren Istriern hingepinselt“, sagt Aurelio Juri, Bürgermeister von Koper und erhebt sich aus dem knarrenden Korbstuhl fast drohend zu seiner stattlichen Größe von knapp zwei Metern, „das sind Gangster von drüben. Manche kommen nur hierher, um derlei Mist an die Wand zu kritzeln.“
„Drüben“, das ist jenseits der Adria und jenseits der Grenze zu Italien: dort hat sich seit der Bildung der Rechtsregierung mit einer großmachtlüsternen neofaschistischen Komponente ein reger Polittourismus entwickelt – „leider der einzige, der derzeit wirklich aktiv ist, und gerade auf den könnten wir besonders gut verzichten“, murrt ein Mitglied der „Comunita italiana di Fiume“ beim abendlichen Treff der Alten in der Via Uljarska: „Wir fühlen uns als Italiener, aber nicht vom staatsbürgerlichen Verständnis her, sondern von unserer Kultur, unserer Tradition, unserer Abstammung, so wie sich die seit Generationen Ausgewanderten in Südamerika oder Kanada noch immer irgendwie als Italiener fühlen. Von denen käme auch keiner auf die Idee, nun plötzlich eine Integration in die Republik Italien zu fordern.“
Derlei Vergleiche hinken für die Verfechter einer erneuten Annexion Istriens durch Italien natürlich. „Immerhin“, schreit ein aus Pordenone eben mal schnell mit seiner Honda zu einem Kirchweihfest der Italiener in Opatija über die Grenze gebrauster Jüngling in eine bislang ruhige Versammlung des Ortsvereins „Cultura e territorio“ hinein, „immerhin war Istrien bereits italienisch“ – als ob vorangehende Annexionen spätere automatisch völkerrechtlich rechtfertigen würden. Die zumeist älteren Zuhörer reagieren mit Kopfschütteln, und der Festredner, den man von der Universität Pola herbeigeholt hat, sucht den jungen Mann sanft zu überzeugen: „Siehst du, mein Freund, wir haben eine andere Art als du, uns als Italiener zu fühlen. Nicht, was in den Reisepaß eingedruckt ist, zählt, sondern wie man sich fühlt.“
Tatsächlich verlangen die italienischen Kulturvereine in Istrien von Beistrittswilligen keinerlei Abstammungnachweis. Wer kommt und sagt, er sei Italiener, gilt als solcher, da mag sein Name noch so kroatisch, slowenisch oder gar serbisch klingen. „Fast ein Jahrhundert lang haben wir versucht, eine multiethnische Gesellschaft zu schaffen“, sagt Bürgermeister Juri, „im Gegensatz zu den meisten Teilen der Welt ist das auch gelungen: es gibt weder bürokratische noch ethnische, weder kulturelle noch familiäre Vorbehalte, wenn ein Kroate eine Italienerin heiratet oder ein Italiener eine Slowenin, das hat sich erhalten trotz des Zusammenbruchs von Jugoslawien. Also laßt uns mit Sprüchen von Großitalien und Heimkehr ins Reich bitte in Frieden.“
Eine Warnung, die vor allem an die Unverbesserlichen jenseits der Adria gerichtet ist; der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses in Rom, Mirko Trmaglia, bekennt sich offen als glühender Verfechter einer Revision des Vertrages von Osimo: Dort war 1975 die endgültige Grenzziehung zwischen Italien und Jugoslawien sanktioniert worden, mit einer Teilung Triests und der Garantie von ausgedehnten Rechten für die italienische Minderheit.
„Seinerzeit“, erinnert sich Elvia Fabianić, Präsidentin der italienischen Gemeinde von Fiume, „hat sich freilich noch kaum jemand getraut, die im Vertrag verbrieften Rechte einzufordern. Erst mit dem Zerfall Jugoslawiens und dem wachsenden Vertrauen in ein weiteres friedliches Zusammenleben auch unter der kroatischen Regierung kommen die Leute mehr und mehr zu uns, werden Mitglieder in unseren Vereinen und erbitten Ratschläge, wie sie zu ihren Rechten kommen können.“
Dennoch: „Das Mißtrauen wächst in letzter Zeit leider wieder“, wie die italienischsprachige Voce del popolo besorgt bemerkt, „und gerade darum brauchen wir Frieden an den Grenzen zu Italien.“ Noch immer droht ja im Osten die Gefahr eines Krieges mit Serbien. „Wenn es dann darum geht, daß unsere jungen Männer zu den Waffen gerufen werden, und auch nur der leiseste Verdacht besteht, sie könnten untreu sein, gnade uns Gott“, fürchtet Rosario Mihailović, eine Feministin aus Pola, die über die italienische Radikale Partei zur westeuropäischen Friedensbewegung gestoßen ist.
Mit besonderem Mißtrauen beobachten die Italiener Istriens denn auch jeden Schritt der Regierung in Rom. Vergangene Woche war da zum Beispiel eine Großkonferenz der Anrainer Ex-Jugoslawiens, bei der Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi den Slowenen grünes Licht für den Beitritt zur Europäischen Union gab – wobei jedoch der Außenminister und der Staatssekretär gleichzeitig erheblich davon abweichende Stellungnahmen hinterlassen haben; ein „unerträgliches Zickzack“, wie La Voce kritisiert. Am Wochenende haben sich Abgesandte der kroatischen, der herzegowinischen und der türkischen Regierung getroffen und offenbar bereits Gegengewichtungen ventiliert, für den Fall, daß sich die Grenzen der abendländischen Union im Umfeld Istriens und Dalmatiens schließen sollten.
Dabei haben die Istrier – wie alle anderen Menschen in ihrem Land – im Grunde ganz andere Probleme zu bewältigen als die leidige Frage der Zugehörigkeit: Seit dem Zerfall Jugoslawiens ist der Durchschnittsverdienst von umgerechnet etwa tausend auf dreihundert Mark pro Monat gefallen. Besserung ist nicht in Sicht, einst blühende Wirtschaftszweige wie der Fischfang und die Landwirtschaft sind zusammengebrochen – nicht wegen mangelnder Ausrüstung, sondern weil einerseits das Hinterland für den Absatz fehlt, andererseits das Meer wegen der Umweltverschmutzung und der gnadenlosen Ausbeutung durch internationale Flotten immer weniger Beute enthält. „Da würde auch eine Integration in den Staatskörper Italiens nichts daran ändern“, sagt Bürgermeister Juri. „Solange in Jugoslawien Krieg herrscht, werden wir nicht mehr auf die Beine kommen.“
Dazu kommt, daß Kroatien derzeit auch noch zahlreiche Flüchtlinge versorgen muß – alle Versuche, diese Last durch Zuschüsse der internationalen Gemeinschaft auf ein erträgliches Maß zu reduzieren, waren vergeblich. „Es wird damit enden, daß sie uns über die Grenze in den Krieg zurückschicken“, sagt Drago Miklić, Sprecher eines Lagers in Salvore, 30 Kilometer von der italienischen Grenze entfernt, als er zusammen mit weiteren 1.300 Menschen wieder mal verschoben wird – mit der absurden Begründung, neue Flüchtlinge müßten hier untergebracht werden. Drago weiß, woher sie kommen: „Aus Cittanova, wo sie ruhig hätten bleiben können.“ Nein, sagen die Behörden, die aus Cittanova mußten weg, weil da andere Leute hinsollten und nur dort die Versorgung für sie einigermaßen gesichert sei. Höhere Logik offenbar.
Immerhin eröffnet sich auf diese Weise auch für die italienischen Istrier eine gewisse Chance zum Beweis ihrer „Kroatientreue“: sie schaffen aus Italien immer wieder ansehnliche Transporte mit Hilfsgütern für die Flüchtlinge heran, italienische Schulen sammeln Geld und „adoptieren“ Kinder in den Lagern, indem sie deren Nahrungsmittelversorgung garantieren.
„Im Grunde“, meint Elvia Fabianic, „haben wir hier in Kroatien weniger offene Fragen als unsere Landsleute in Slowenien.“ Dort sind noch zahlreiche Eigentumsprobleme ungelöst – etwa jene verlassenen Häuser von Italienern, die von Tito vertrieben worden sind. Berlusconi hat angeblich von der slowenischen Regierung konkrete Versprechen über den finanziellen Ausgleich erhalten, ehe er sein Veto gegen den Beitritt zur EU zurücknahm. Allerdings mußte er dafür auch zusagen, künftig der in Italien lebenden slowenischen Minderheit Garantien zu geben, die ihnen ganz ähnlich wie den Italienern im ehemaligen Jugoslawien die Pflege der eigenen Sprache, der Kultur und des Brauchtums gestatten. „Alles Dinge, die wir nicht regeln müssen“, sagt Bürgermeister Juri, „eigentlich die besten Voraussetzungen für weiteres friedliches Zusammenleben.“
Fraglich, ob derlei wirklich bis nach Rom dringt. Neofaschistenführer Fini, der früher bei Gelegenheit schon mal die „Mauer von Triest“ – ein überwiegend klappriger Maschendrahtzaun, der den jugoslawischen vom italienischen Teil der Stadt trennt – überklettert hat, behauptet steif und fest, bei einem Besuch in Belgrad hätten ihn die Serben ausdrücklich ermuntert, sich Istrien zu holen: „Es gehört euch, nehmt es euch.“ Offiziell sagt er zwar immer wieder, seine Partei werde niemals für Gewalt im internationalen Verkehr eintreten, doch eine Grenzgarantie im Sinne Osimos will er auch nicht geben.
So bangen die Istrier mehr denn je vor den Nachrichten von Mamma Italia – vorige Woche hat Tremaglia, der „eiserne Irredentist“, in seiner Eigenschaft als Außenausschußvorsitzender eine Reise ins ehemalige Jugoslawien angekündigt, und prompt sind in Fiume danach antiitalienische Graffiti an der Wand verzeichnet worden – „Spaghettis, bleibt zu Hause“. „Das können aber nur unsere eigenen Leute gewesen sein“, sagt ein Gianni Markoc, Führungsmitglied der „Comunita italiana“, „Kroaten hätten geschrieben ,Spaghettis raus‘.“ Eine solche Erklärung scheint ihn regelrecht zu beruhigen. Denn: „Es gibt Italiener und Italiener. Wir hier sind Italiener, echte, wirkliche Italiener, keine Chauvinisten und keine Revisionisten. Vielleicht sind die Leute jenseits der Adria der dekadente Teil Italiens ...“ Erschrocken hät er inne, als ihm nun doch ein widerwilliges Gemurmel entgegenschlägt. „Ich meine ja nur“, stottert er, „ich denke, ich vermute, wenn die wirklich etwas für uns tun wollten, würden sie doch den Mund halten und uns nicht in solche Schwulitäten bringen. Oder?“ Jetzt hat er den Beifall wieder auf seiner Seite.
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