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Weiß Bonn, wo Kreisau liegt?

■ Der Treffpunkt des Kreisauer Kreises wird zu einer Jugendbegegnungsstätte

„Schwierigkeiten mit Krzyzowa“, titelte im Mai 1986 die Trybuna Ludu, das Organ der polnischen Kommunisten, und die Lokalpresse sekundierte einen Monat später: „Diese Initiative weckt Zweifel.“ Es war die Antwort auf verschiedene Anregungen, auf dem Gutshof in Kreisau ein Begegnungszentrum zu schaffen. In dem etwas abseits vom Gutskomplex gelegenen Berghaus hatten auf Einladung Helmut James von Moltkes in den Jahren 1942/43 die drei legendären Tagungen des Kreisauer Kreises stattgefunden. Doch die polnischen Behörden genehmigten noch nicht einmal eine bescheidene Gedenktafel.

Dabei gingen diese Initiativen nicht nur von der deutschen Seite aus. Seit den frühen siebziger Jahren wehrten sich auch Polen gegen das Vergessen und den Verfall von Kreisau. Gegen die staatsoffizielle Version von der „volksfeindlichen Konzeption des Kreisauer Kreises“ und das verbreitete Bild vom preußischen Militarismus, das sich in Kreisau nahtlos an der Familientradition festmachen ließ – Generalfeldmarschall Helmuth von Moltke hatte 1866 das Gut für den Sieg gegen Österreich erhalten –, veröffentlichte der Historiker Karol Jonca Aufsätze über den Widerstand des Kreisauer Kreises. Doch auch in Kreisau brachte erst das Jahr 1989 die Wende. Dann aber ging alles sehr schnell. Der „Klub der Katholischen Intelligenz“ lud zu einer Tagung nach Breslau ein, und es kam eine illustre Runde zusammen – Historiker und Pädagogen, Jesuiten und evangelische Theologen, Solidarność-Aktivisten, Oppositionelle aus der DDR und nicht zuletzt Familienangehörige der „alten Kreisauer“.

Das gegenseitige Vertrauen, entstanden in teilweise jahrzehntelangen Kontakten, war freilich nur eine Voraussetzung und vorerst das einzige Kapital für die Verwirklichung eines solchen Projekts. Ohne den politischen Systemwechsel wäre das „neue Kreisau“ eine schöne, aber weltfremde Idee geblieben. Am gleichen Wochenende wählten die Polen in den am Runden Tisch vereinbarten halbfreien Parlamentswahlen die alte Macht ab. Tadeusz Mazowiecki wurde erster nichtkommunistischer Ministerpräsident im „Ostblock“. Wenige Tage nach dem Fall der Mauer nahm er mit Helmut Kohl an einer Versöhnungsmesse in Kreisau teil.

Diese Anfänge liegen fast fünf Jahre zurück. Heute wird manchmal der Eindruck erweckt, der Wiederaufbau Kreisaus sei eine rein deutsche Initiative. Andere gehen noch weiter und orten den Ursprung der Idee im Bundeskanzleramt. Dem ist aber nicht so. Mieczyslaw Pszon, der Beauftragte Mazowieckis für die Vorbereitung des Staatsbesuchs im November 1989, hat neulich in einer polnischen Zeitung die Hintergründe erläutert. Eines der Hauptthemen des Besuchs war die deutsche Minderheit, und Kohl wollte sich mit den Deutsch-Schlesiern auf dem Annaberg treffen. Nach massiven Protesten der polnischen Schlesier gegen den Ort und dem Beharren der deutschen Seite auf diesem Programmpunkt drohte die Kanzlervisite zu scheitern. Pszon schlug seinem Verhandlungspartner Horst Teltschik Kreisau als Alternative zum Annaberg vor. Der damalige Kanzlerberater fragte nach – „Was ist Kreisau?“ – und erhielt die Antwort, dies sei ein geeigneter Ort – für beide deutsche Staaten und für die polnisch-deutschen Beziehungen. Das Kanzleramt prüfte den Vorschlag und stimmte zu.

1990 wurde der organisatorische und finanzielle Rahmen für den Wiederaufbau geschaffen. Das internationale Netzwerk gründete die „Stiftung Kreisau für europäische Verständigung“, erwarb Grund und Boden und präzisierte den Stiftungszweck. Außer der Jugendbegegnungsstätte entsteht eine Gedenkstätte, die über den Widerstand des Kreisauer Kreises hinaus an den Widerstand gegen jede Art von Totalitarismus erinnert. Ein ökologisches Landgut mit Beratungsangebot für die Bauern der Umgebung und eine Europa- Akademie, die auch als Bildungs- und Schulungszentrum zur Verfügung steht, soll Kreisau für die Menschen der strukturschwachen Region attraktiv machen.

Kein Geld für den Finanzierungsfond

Im August 1990 verpflichteten sich die Regierungen in einem Notenwechsel der Außenminister zur Errichtung der Internationalen Jugendbegegnungsstätte mit zirka 100 Plätzen. Als Instrument zur Finanzierung wurde im November der sogenannte „Jumbo-Fonds“ unter der Verwaltung der paritätisch besetzten „Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit“ gebildet. In diesen Fonds flossen polnische Rückzahlungsverpflichtungen für einen Kredit aus dem Jahre 1975. Im Herbst 1991 konnten die ersten Gelder abgerufen werden. Inzwischen ist die Außenrenovierung des einsturzgefährdeten Schlosses abgeschlossen und eine Jugendherberge – die erste Ausbaustufe der Jugendbegegnungsstätte – komplett fertiggestellt.

Vor wenigen Wochen trafen sich dort Schüler aus Kronberg im Taunus mit Gleichaltrigen ihrer Partnerschulen aus Polen, Rußland, Italien, Großbritannien, Belgien und den Niederlanden. Freya von Moltke, Rosemarie Reichwein und Clarita von Trott, deren Männer von Freislers „Volksgerichtshof“ zum Tode verurteilt und hingerichtet wurden, fuhren zur Eröffnung. Gemeinsam mit Wladyslaw Bartoszewski, der am Warschauer Aufstand teilnahm, erzählten sie von den Motiven und Zielen des Widerstands gegen Hitler vor 50 Jahren. Dabei bekamen die Schüler eine Ahnung davon, daß die europäische Einigung nicht ohne ein Minimum gemeinsamen Geschichtsbewußtseins zu haben ist.

Doch nach diesem gelungenen Auftakt gibt es neue „Schwierigkeiten mit Krzyzowa“. Die „Jumbo-Stiftung“ bezeichnet Kreisau gern als ihr „Flaggschiff“, was jedoch das Warschauer Sekretariat nicht an der Vorbereitung von Beschlüssen hindert, die auf eine radikale Kürzung des bereits zugesagten Investitions- und Finanzrahmens hinauslaufen. Die Konsequenzen wären gravierend. Die angegriffene Bausubstanz der unter Denkmalschutz stehenden Hofgebäude würde weiter verfallen. Die Stiftung könnte die im Blick auf die Akzeptanz des Gesamtprojekts notwendigen Leistungen für die Region nicht erbringen, die von den Menschen vor Ort mit Recht erwartet werden. Ein halb verfallenes und halb renoviertes Kreisau müßte zwangsläufig zum Symbol dafür werden, daß Bonn und Warschau ihre Absichtserklärungen für eine Politik der guten Nachbarschaft und der europäischen Verständigung nicht mehr ernst nehmen. Ludwig Mehlhorn

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