: Schöne neue Technik
Massenentlassungen nun auch in der Computerbranche / Immer mehr Anwender können mit der komplizierten Technik nichts anfangen ■ Von Lorenz Redicker
Berlin (taz) – Drei Monate lang rührte der Professor aus Dortmund den teuren Computer nicht an. Denn drei Monate lang mußte er auf seinen Hiwi, die wissenschaftliche Hilfskraft, verzichten. Zu kompliziert die Technik, allzu verworren deren Bedienung. Schon das Einschalten des Gerätes bereitete dem Gelehrten Schwierigkeiten. Was wie ein skurriler Einzelfall anmutet, ist kennzeichnend für die Fehlentwicklung in der EDV-Branche, die letztlich Ursache für die Krise vieler Computerbauer ist.
So ließe sich die Kritik des Gewerkschafters Ulrich Klotz deuten. Klotz arbeitet im Vorstand der IG Metall in der Abteilung Automation, Technologie und Humanisierung der Arbeit. Seine düstere Prognose: „Wir sind dabei, den letzten zukunftsträchtigen Bereich der EDV zu verschlafen!“ Den sieht Klotz in der Erstellung anwendungsnaher Software. Nur damit ließe sich noch Geld verdienen, nur hier entstünden neue Arbeitsplätze.
Mit seiner Prognose steht Klotz nicht alleine da. Auch Karl Schmitz von der Hamburger Gesellschaft für Technologieberatung und Systementwicklung moniert: „Die EDV-Branche hat die Entwicklung verschlafen.“ Schon in wenigen Jahren werde Software nur noch „ganz nahe bei denen entstehen, die die Arbeit machen“. Immer noch aber verkauften die Computerbauer „schöne neue Technik“, mit der die Käufer nichts anfangen könnten.
So hat die US-Firma Digital Equipment (DEC) Rechner mit dem High-Tech-Chip Alpha auf den Markt geworfen, ohne daß geeignete Programme angeboten wurden. Auch das kein Einzelfall. Denn Superchips, Hochleistungsdrucker und schnelle Speicher vermochten die Produktivität in den Büros nicht zu steigern, wie zahlreiche Studien belegen. Grund: Die Qualität der Software konnte mit der Technik nicht mithalten und überforderte die AnwenderInnen.
Das rächt sich jetzt. Die KundInnen laufen den Unternehmen davon, und die machen Rekordverluste. Gelitten haben darunter in erster Linie die Beschäftigten. So will DEC weltweit 20.000 MitarbeiterInnen entlassen, Siemens- Nixdorf hat seine Belegschaft seit 1990 von 52.000 auf 38.000 reduziert und streicht weitere Stellen. Marktgigant IBM hat seit Mitte der achtziger Jahre die Hälfte seiner Angestellten gefeuert, 1994 und 95 verschwinden allein in Deutschland weitere 6.000 Frauen und Männer aus den Gehaltslisten von Big Blue. Ist der einstige Musterknabe Computer-Industrie zur Krisenbranche verkommen?
Dieser Einschätzung widerspricht Klotz heftig, und da stimmt dem Gewerkschafter die Unternehmerseite zu. Bernhard Rohleder, Pressesprecher im Zentralverband Elektrotechnik und Elektronikindustrie (ZVEI), verweist auf steigende Umsätze. Um je fünf bis sechs Prozent wachse der europäische Markt für Informationstechnologie in den nächsten zwei Jahren, besagen die Marktanalysen. Doch mehr Umsatz bedeutet nicht gleichzeitig mehr Gewinn. Und so beklagen gerade die schwachbrüstigen Unternehmen den Preisverfall und schmelzende Gewinnspannen. Für bessere Rechner erhalten die Computerbauer weniger Geld, was sie dazu zwingt, „mehr Stückzahl mit weniger Mitarbeitern zu machen“, so Norbert Strauch, Pressesprecher der gebeutelten Siemens-Nixdorf.
Solche Klage ist in der Branche populär, doch IG-Metall-Mann Klotz hält sie für nicht stichhaltig. Immerhin gehe es einigen Unternehmen glänzend: Hewlett Packard, Sun Microsystems, Silicon Graphics und viele kleine Software-Häuser fahren Gewinne ein. „Die reagieren schnell auf neue Anforderungen, weil sie weniger Hierarchien haben“, begründet Klotz deren Erfolg. Andernorts dagegen blockiere das mittlere Management Innovationen.
In der Fixierung auf die Hardware, also auf Rechner und andere Bauelemente, sieht der Metaller das Problem: „Damit ist weder Geld zu verdienen, noch wird eine relevante Zahl von Arbeitsplätzen geschaffen.“ Dennoch werden Milliarden in hochautomatisierte Chip-Fabriken und PC-Werke gesteckt, in denen dann ein paar hundert Glückliche den Kampf gegen die Konkurrenz aus Fernost aufnehmen. Staatliche Forschungsmilliarden stützen diese Entwicklung.
Auch in Sachen Software ist inzwischen so mancher Zug abgefahren. System-Software komme aus den USA, Standard- Module können zum Beispiel in Indien billig erstellt werden, beschreibt Software-Berater Schmitz die Lage. Für die heimischen Unternehmen bleibe für die Zukunft, aus den vorhandenen Modulen neue Anwendungen zu stricken, „in einem sehr viel engeren Kontakt zu den späteren Anwendern als bisher“.
Lange Jahre waren die AnwenderInnen mit dem Kauf eines Computersystems auf einen Hersteller festgelegt, weil Programme nur auf diesem einen System liefen. Ein erstes Stück Freiheit haben sie sich mit den Unix-Rechnern erobert, bei denen die Hardware beliebig austauschbar ist.
Für die Software sieht Schmitz ähnliches voraus: Programm-Module verschiedener Hersteller werden frei kombinierbar sein. Das dürfte den Markt dann gehörig durcheinanderwirbeln, orakelt Schmitz. Selbst der deutsche Marktführer SAP könne ins Wanken geraten.
Vor allem die Beschäftigten müssen sich umstellen. In der Branche, „wo das Wissen nach zwei bis drei Jahren veraltet“, werden neben beständiger Weiterbildung „interdisziplinäres Arbeiten und Kommunikationsfähigkeit immer wichtiger“, glaubt Klotz. Seine Forderung: „Wir müssen weg von der Technik-Fixierung!“
Nicht überall wird das so gesehen. In der Umstrukturierung der krisengeschüttelten US-Firma DEC erkennt Thomas Klebe, IG- Metall-Aufsichtsrat der deutschen DEC, die Rückbesinnung auf den Hardware-Verkauf. Ob solcher Pläne schwant dem Gewerkschafter Böses: „So fahren die den Laden vor die Wand.“
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