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Im Barfußbereich

■ Fast eine Orgie in Fleisch: Richard Blanks Männerfilm „Prinzenbad“

Morgenstimmung im Géllertbad in Budapest: Mit hohen Hacken feudelt Elisabeth Endriss den kostbaren Mosaikboden im Vorraum. Dann schlurft Bernhard Wicki im Bademantel durchs Bild und verschwindet im Barfußbereich, wo er den bereitstehenden Badediener-Trupp überprüft, bevor er die Tore der Öffentlichkeit öffnet. Herein kommen Männer im Mantel oder Anzug. In wenigen Augenblicken wird man ihre wabbeligen Bäuche sehen oder ihre Rippen zählen können. Man wird sehen, daß sie am ganzen Körper behaart sind oder tätowiert, ob sie einen Hängehintern haben, eine Trichterbrust, Krampfadern oder – seltener – athletisch gebaut sind. Männer eben, die sich jetzt ihren Lendenschurz abholen und in den Kabinen verschwinden.

„Prinzenbad“ nennt Richard Blank seinen Film und das einzige, woran es realistischerweise mangelt, sind Prinzen. Ansonsten ist der Märchenentwurf komplett: es gibt einen hellen und einen dunklen Engel, schöne Frauen, Intrigen, Wünsche und Verwünschungen, Sinnlichkeit, Geheimnisse, Rituale, eine Orgie, einen Mord und ein Happy-End.

Und genau wie im Märchen sind im Prinzenbad gesellschaftliche Strukturen fast noch sichtbarer als außerhalb. Denn im Bad sind durchaus nicht alle Männer gleich, nur weil sie schwitzen. Sie schwitzen als Herr und als Knecht, als Schwächlinge und Perverse, als Unglücksraben und Versager. Sie schwitzen altklug, philosophisch oder banal, sie schwitzen als Wehrsportgruppe und singen „Schwarzbraun ist die Haselnuß“.

Gegen soviel männlichen Schweiß hilft nur Bewegung. Zuweilen unscharf und leicht verlangsamt spioniert die Kamera von Horst Schier die Gänge aus und sucht den Winkel, der diese Badewelt im Innersten zusammenhält. Streicherklänge ertönen aus dem Off wie eine Erinnerung, und niemals sieht man die Decke dieses prachtvollen Jugendstilbades – der Himmel, der ist anderswo.

Richard Blank schwelgt in den parallel stattfindenden, theaterhaften Einzelhandlungen. Er läßt Gesprächsfetzen sich überlappen und schneidet Szenenfragmente gegeneinander: ein Detektiv kommt zwei Kokainhändlern unbeholfen auf die Schliche, ein Direktor spielt seine beiden drögen Assistenten fieslich gegeneinander aus, ein Mathematikstudent leidet an Liebeskummer, ein Tenor erzählt von erotischen Abenteuern auf offener Bühne. Schnaufender Ruhepunkt der Kolportage ist Bernhard Wicki als Badeanstalts- Oberengel Dany. Mit fast schon jenseitiger Müdigkeit klopft er auf Rohre, vereitelt einen Mordversuch und leistet Kupplerdienste.

Denn auch Frauen gibt es in diesem Film. Lisa, die entzückende Kellnerin des Prinzenbades (Ekaterina Strishenowa) schleicht sich als Mann verkleidet in eine Massagekabine, wo sie den Maler Mathias (Robert Alföldy) trifft. Dann tritt Johanna auf, die Freundin von Mathias – Eifersucht! Elizabeth Schofield ist groß und blond, das genaue Gegenteil von Lisa. Entschlossen marschiert sie mitten hinein ins dampfende Geschehen, tritt an das größte Becken und fragt nach ihrem Maler. Da tauchen sie dann alle unter im Becken, die Nicht-Prinzen, schlüpfen aus ihrer Trivialität, sammeln ihre schwitzigen Leidenschaften zusammen und kommen wieder hoch – als Mob.

Ganz allmählich hat Blank auf diese Szene hininszeniert und jetzt erweist sich, daß er tatsächlich eine Vision hat vom Ausbruch einer barock-orgiastischen Leiblichkeit. Die Dicken, die Zahnlosen, die Wehrsportler schwingen ihre Lendenschürze über dem Kopf, bewegen sich auf Johanna zu, umringen sie, grinsen irr, machen Fickgesten, einer pinkelt in eine Ecke, der Älsteste reißt an ihrer Kleidung. Lisa kommt der Rivalin zur Hilfe, man stürzt sich auf sie, zerrt sie ins Wasser, einer legt sich ihren Strumpfhalter auf den Kopf und kreischt.

Und Ulrich Wildgruber. Er schwimmt wonniglich durch das Geschehen. Einige Einstellungen zuvor stand er plötzlich im Umkleidetrakt, eine dicke Schlange mit dem passenden Namen Gomorra. „Ich bin ein Engel“, sagte er und rezitierte Dante und faßte den Männern unter den Schurz. Jetzt steht er im Becken, ein rosiger Klops voll gefährlich-naiver Lüsternheit und greift selig abwesend nach links und nach rechts. Ulrich Wildgruber würde den Wahnsinn, den Abgrund, möglich machen.

Aber der Regisseur will sich nichts vorwerfen lassen, der Vulkan brodelt nur und bricht nicht aus. Plötzlich erschlafft das Geschehen, kommt nicht zu seinem bösen Höhepunkt. Die beiden Frauen bedecken sich gegenseitig, wanken heraus, ein Toter wird wie nebenbei gefunden, der Boden schnell gewischt, der Student feiert Wiedervereinigung mit seiner tranigen Freundin. Ende.

„Prinzenbad“ ist ein symphonisch komponierter Taumel in männliche Instinktwellen, ein Alptraum zwischen Aufguß und Ausgang, der Männer wirklich auf einen gemeinsamen Nenner bringen will und der sich dann abrupt wieder diszipliniert. Der schlußendliche Walzer des Studentenpaares auf der Blumenwiese ist ironisch gemeint, täuscht aber auch nicht darüber hinweg, daß der Mut zum Zuendeerzählen hier gefehlt hat. Und nur wegen dieser Halbherzigkeit tritt ein, was Richard Blank vielleicht gefürchtet hat: seine so großartig angelegte Vision wirkt im nachhinein frivol, gerät zur Saunaphantasie, schwitzend, ängstlich und verlogen. Petra Kohse

„Prinzenbad“ von Richard Blank, BRD/Ungarn 1993, 85 Minuten, Bundesstart: 21. Juli

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