: Naive Wählerbevormundung
■ betr.: „Das Gespenst geht um“, taz vom 11.7.94
Mandela/de Klerk in Südafrika, Perez und Arafat im Nahen Osten reichen sich trotz Hunderttausender Toter auf beiden Seiten die Hände. Im deutschen Bauchnabel hingegen scheint der Kalte Krieg erst 1989 begonnen zu haben. Die Opfer an den unsichtbaren strukturellen Mauern des Kapitalismus werden weggeblendet und von öffentlichen Plätzen tunlichst entfernt. Einer hier kleinen und leicht vorstellbaren Zahl von Opfern eines übereifrigen und unter Kuratell stehenden Ex-Staates kommt dabei die Funktion zu, jede Chance auf Neuanfang und Zukunft zu bremsen oder zu blockieren. Opfer in doppeltem Sinn, die heute wiederum wehrlos für Wahlkämpfe instrumentalisiert und politisch aufgeladen werden.
Von außen betrachtet führt in Deutschland ein Haufen großer Jungen eine längst vom Spielplan gestrichene Komödie auf, in der Mami und Papi Schreckliches geklagt wird. Nur Mami und Papi sind nicht mehr da. Die lieben Kleinen in fünf Jahren retardiert.
Mandela/de Klerk und Perez/ Arafat verbindet neben dem Händedruck auch die Reife, mit einer neuen Weltordnung angemessen umgehen zu können. Größe, internationaler Weitblick und vielleicht neue Menschlichkeit gegen stickigen Provinzialismus. Nicht mal Honecker muß mehr die Hand gedrückt werden, paradoxerweise hatte man das längst getan. Das Verdrängte kehrt zurück und wird zum Symptom in einer anderen Realität. Die PDS wird gleichsam xenophobisch behandelt wie ansonsten nur Fremde und Ausländer. Da fehlt auch der kritische Dialog, der nicht über den Verfassungsschutz ersetzt werden kann. Eine Aufrechnung der PDS gegen die Reps ist kalter Krieg.
Die lieben Kleinen sollten sich endlich von Mami und Papi emanzipieren, anstatt einer naiven Wählerbevormundung anzuhängen. Die PDS hat dies vielleicht schon am ehesten geschafft, denn die bösen Eltern sind nicht mehr da. Ein Bundespräsident Jens Reich wäre ein Anflug von Reife und Esprit gewesen. Pablo Atheke, Berlin
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen