: Überwachung total
■ Interview mit Ulrike Okenwa, Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte in Hessen, über Datenschutz und das Ausländerzentralregister
taz: Die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland gewährt den Bürgerinnen und Bürgern dieser Republik Datenschutz. Wie ist es mit den hier lebenden Ausländerinnen und Ausländern? Genießen die denselben Schutz?
Ulrike Okenwa: Nein, keineswegs. Auch in diesem Bereich ist eine ungleiche Behandlung zwischen Deutschen und Ausländern festzustellen. Das zeigt die bisherige Praxis, die nun auch gesetzlich legitimiert werden soll. Der hierzu vorliegende Gesetzentwurf, der inzwischen bereits stillschweigend vom Bundestag verabschiedet worden ist, erlaubt eine Totalerfassung der nichtdeutschen Bevölkerung.
Sie meinen den Gesetzentwurf zum Ausländerzentralregister (AZR)?
Ja. Diese Behörde, die aus der Zeit des Dritten Reiches stammt, wurde eingerichtet, um Informationen über die in Deutschland lebenden Ausländerinnen und Ausländer zu sammeln, eine Aufgabe, die sie bisher mit Gründlichkeit und Erfolg geleistet hat. Doch was diese Behörde tut, widerspricht dem Grundgesetz. Es ist erstaunlich, daß die Öffentlichkeit von ihrer Existenz kaum Kenntnis nimmt. Doch das könnte sich ändern. Deshalb soll ihre Arbeit, jeglicher Kritik vorbeugend, rasch gesetzlich legitimiert werden.
Welche Befugnisse würde sie durch das Gesetz erhalten?
Das Gesetz ist ein Machwerk, das der Behörde erlaubt, Daten über jeden hier lebenden Ausländer weiterzuleiten an die Polizeivollzugsbehörden, Staatsanwaltschaften, Gerichte, an das Zollkriminalamt, an die Bundesanstalt für Arbeit, an die Hauptzollämter, Staatsangehörigkeits- und Vertriebenenbehörden, an den Verfassungsschutz, den Militärischen Abschirmdienst, das Amt für Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und an deutsche Auslandsvertretungen und Visabehörden. In bestimmten Fällen können sich sogar nichtöffentliche Stellen, die im sozialen und humanitären Bereich tätig sind, die erwünschten Informationen beim Ausländerzentralregister einholen. Umgekehrt sind all die genannten Behörden verpflichtet, das AZR über die Ergebnisse ihrer Ermittlungen zu informieren.
Das ähnelt doch einem Überwachungsstaat für die ausländische Bevölkerung. Wie sieht es mit ausländischen Geheimdiensten aus? Dürfen auch sie informiert werden?
Ja, das ist der absolute Hammer, vor allem wenn es Asylsuchende und Bürgerkriegsflüchtlinge betrifft. Paragraph 26 des Gesetzentwurfs gestattet die Weitergabe von Daten an Behörden anderer Staaten. Hierbei gibt es zwar gewisse Einschränkungen, die fallen aber kaum ins Gewicht. Ich vermute, daß die Grenzen, die hier das Gesetz setzt, in der Praxis ohnehin mißachtet werden.
Das kann doch manchen Flüchtling unter Umständen das Leben kosten.
So ist es. Asylsuchende müssen bekanntlich zur Begründung ihres Antrags oft Geheimnisse preisgeben, nicht nur über die eigenen Aktivitäten, sondern auch über die ihrer politischen Kampfgefährten, Geheimnisse, die für die Verfolgerstaaten von größter Bedeutung sein könnten. Zwar ist es dem AZR untersagt, Informationen direkt an Geheimdienste der Verfolgerstaaten weiterzuleiten, nicht aber an die mit diesen Staaten befreundeten Länder. Das ist aber ein kleiner Umweg, der ohne größeres Aufheben überwunden werden kann. Sollte nun der Antrag des Asylsuchenden abgelehnt werden und danach eine Ausweisung oder Abschiebung erfolgen, kann man sich leicht ausmalen, welche Folgen die zuvor preisgegebenen Informationen für den heimkehrenden Flüchtling haben könnten.
Haben Ausländer in der Bundesrepublik juristische Möglichkeiten, um sich gegen diese Willkür zu wehren?
Theoretisch kann jeder Ausländer Dateneinsicht verlangen. Allerdings liegt es im Ermessen der Behörde, diesem Wunsch ganz oder nur teilweise nachzukommen oder ihn auch gänzlich abzulehnen.
Doch welcher Ausländer hat tatsächlich Kenntnis von dieser Rechtslage? Die Praxis jedenfalls zeigt, daß bisher von diesem „Recht“ kaum Gebrauch gemacht worden ist.
Der Gesetzentwurf hat den Bundestag passiert, es ist damit zu rechnen, daß er auch die Zustimmung des Bundesrats findet. Wie soll man da noch Abhilfe schaffen?
Unsere Aufgabe besteht darin, die Öffentlichkeit über diese eklatanten Zustände zu informieren. Es wäre doch auch denkbar, daß das, was hier an Ausländern erprobt wird, sich eines Tages auf die Gesamtbevölkerung ausbreitet. Eine tatsächliche Änderung des Gesetzes wird jedoch unter der gegenwärtigen politischen Machtkonstellation kaum möglich sein. Interview: Bahman Nirumand
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