: Analytische Poetry
Konzeptkunst revisited: In Zürichs Shedhalle stellen 30 Künstlerinnen ihre Kritik an der Tekkno-Kultur aus ■ Von Jörg Heiser
Damien Hirst kriegt sein Fett ab, auch wenn er es wahrscheinlich gar nicht mitbekommt. Auf der Aperto-Show in Venedig 1993 hatte der hippe englische Shooting-Star der Kunstszene seine halbierte Kuh nebst halbiertem Kalb in einer Sauce Formaldehyd gezeigt. Das Ganze mündete in ein großes „Oooooh“ und drängende Fragen (Wie hat er wohl die Kuh so sauber halbiert? Weiß eine Mutterkuh am besten, was Leben und Tod bedeuten? Warum stinkt's hier eigentlich so komisch?).
1994 ist eine bissige Miniatur- Replik auf dieses Brimborium Teil der Ausstellung „When Tekkno turns to Sound of Poetry“ in der Shedhalle Zürich. Natascha Sadr Haghighians Arbeit besteht aus einem schlanken Sockel, auf dem ein großes und ein kleines längs halbiertes Snickers in Herdenformation auf Zahnstochern angeordnet sind, von einem Dia überstrahlt, das einen kurzen Text aus einem Biologiebuch – eine Anleitung zum Präparieren eines Tierauges für die Konservierung in Formaldehyd – auf die dahinterliegende Wand projiziert. Fragen auch hier: Muß man das große Snickers als Mutter des kleinen begreifen? Verschafft Snickers wirklich kernige Erdnuß-Satisfaction? Könnten sich Jungmännerkünstler mal Gedanken darüber machen, was sie eigentlich für Setzungen vornehmen, wenn sie Leben, Tod und andere Monstrositäten anhand von Mutter-Kind-Stereotypen thematisieren? Die Fragen, die Haghighians Arbeit aufwirft, sind die richtigen an Damien Hirst und den bisherigen Wirbel um ihn.
„When Tekkno turns to Sound of Poetry“ aber ist keine Gruppenausstellung, in der man sich auf clevere Statements gegen die Mechanismen der Kunstwelt beschränkt. Juliane Rebentisch und Sabeth Buchmann aus Berlin haben eine Ausstellung kuratiert, die einen ganzen Themenkomplex von einem dezidiert feministischen Standort aus rekapituliert wie -formuliert: 21 künstlerische Arbeiten, unter absoluten Low-Budget-Bedingungen von etwa 30 Beteiligten auf die Beine gestellt (die Shedhalle nimmt als Teil des Kulturzentrums „Rote Fabrik“ eine merkwürdige Stellung zwischen alternativem und gefördertem Kunstraum ein), eröffnen ein Feld der Kritik gegenüber momentan virulenten Kunst-, Theorie- und Wissenschaftsdiskursen, in denen sich eine Sehnsucht ausdrückt, Körper und Subjekt virtuell zu überwinden. In der Gentechnologie ebenso wie in der Theorie und Kunst, die affirmativ auf sie Bezug nimmt, wird Textualität als utopischer Raum begriffen, in dem soziale Zuschreibungen und Zwänge scheinbar durch instrumentelle Eingriffe überwunden werden können. Daß aber damit Herrschaftsverhältnisse verschleiert werden, daß es immer noch darum geht, wer die Definitionsmacht und den Zugang zu den für das „Eingreifen“ benötigten Mittel hat, ist offensiv und explizit in der Ausstellung thematisiert.
Die Künstlerinnen und Kuratorinnen setzen den Akzent auf die Kritik an einer naiven oder „interessegeleiteten“ Simpel-Semiologie, mit der das Zeichenhafte als völlige Verabschiedung von Materialität begriffen wird, mit der zugleich aber der alte Geist/Körper- Dualismus durch die Hintertür wieder eingeführt wird: Zeichenbeziehungen als Versprechen des frei konstruierenden, inszenatorischen Zugriffs des Subjekts auf Körperlichkeit. Das gilt dann für eine verdeckt yuppiehafte „Ästhetik der Existenz“ ebenso wie für die Visionen virtueller Entstofflichung oder des gentechnologischen, schönheitschirurgischen Zugriffs auf den Körper. Die Stoßrichtung der Wissenschaftskritik bestimmte schon die vorhergehende, von Renate Lorenz ausgerichtete Shedhallen-Ausstellung „Game Girl – abwerten (bio)technologischer Annahmen“, sie wird mit „When Tekkno...“ in einen kunsthistorischen Blickwinkel übersetzt und weitergeführt.
Der von Sabeth Buchmann und Juliane Rebentisch konzipierte „Tourguide“, eine die Ausstellung ergänzende und kommentierende Textsammlung, sucht die Vorläufer gegenwärtig problematischer Allianzen zwischen Kunst und Wissenschaft auf: Um 1970 herum fanden in den USA mehrere großangelegte Gruppenausstellungen statt, an denen Künstler wie Wissenschaftler teilnahmen, die die mögliche Verbindung von Kunst und Neuen Technologien priesen und die beitragenden Künstler zum Teil sogar als zuarbeitende „Visionäre“ durchinstrumentalisierender Fortschrittsbemühungen der Industrie vorschlugen. Ausstellungstitel wie „Art & Technology“, „Information“ oder „Software“ sind da durchaus als wörtliche Programmatiken zu verstehen.
Während damals eine Neuschreibung künstlerischer Repräsentation forciert und theoretisch strenge Textualität als Befreiung von der auf sublimer Stofflichkeit insistierenden „Atelier-Kunst“ empfunden wurde, verhält es sich jetzt wieder ein ganzes Stück komplizierter; Textualität ist auch nicht mehr das, was sie einmal war oder zu sein vorgab: neutrales Medium der Weltbeschreibung, ein Refugium vor der „Verdinglichung“? Von wegen. Mit „Textualität“ adelt sich heutzutage der gentechnologische Diskurs: der Mensch als zu entschlüsselnder genetischer Code, zu lesende binäre Formel, die zu optimieren ist. Und da ist immer jemand, der hinter der scheinbaren Auflösung des Subjekts in dieser „Verschriftlichung des Biologischen“ sein Subjekt wiederauferstehen läßt, als mächtige Kontrollinstanz der Entzifferung und des Schreibens an eben diesem Code: So wie man zum Beispiel zwanghaft das „schwule Gen“ ausfindig machen will, um endlich einen grammatischen Zugriff auf die Sexualität zu haben, oder Gene patentieren zu lassen versucht.
So begreift der kanadische Künstler/Filmemacher Michael Snow scheinbar naiv die geschriebene Sprache als utopischen Ort der Geschlechtsneutralität, wenn er formuliert: „A good thing about reading words like this and not hearing a voice is that you can't accuse it of being male or female.“ Die Berliner Gruppe „Übung am Phantom“ schreibt diesen Satz quer über die Wand des in der Ausstellung eingerichteten Kinoraumes, in dem dann auch am Eröffnungstag Snows Film „This is“ gezeigt wurde. Der Satz ist in diesem 1982 fertiggestellten Film, der allein aus weißem Lauftext auf schwarzem Grund besteht, eingebunden in eine Erzählstruktur, die auf ironisierende Weise gerade die soziale Position von Michael Snow als männlichem Künstler zutage fördert und damit die Aussage des Satzes wiederum in Frage stellt.
Den Ausstellungsbeteiligten ist ebenfalls bewußt, daß die Antwort auf Technophilie nicht Technophobie, auf Textualisierung nicht die Berufung auf eine „naturhafte Materialität“ der Körper heißen kann. Im Gegenteil geht es darum, den „vergeschlechtlichten“ Körper mit der US-amerikanischen Theoretikerin Judith Butler als von einem Set regulativer Normen materialisiert zu verstehen. Statt einer Konstruktion des Körpers als bloßem Diskurseffekt im Zeichensystem schlägt sie eine Rückkehr zum Begriff der Materie vor, „aber nicht als ein Ort oder Oberfläche, sondern als Prozeß der Materialisierung, der im Verlauf der Zeit stabil wird und den Effekt von Fixiertheit und Oberfläche herstellt, den wir Materie nennen.“ (Neue Rundschau, Heft 4/1993)
Diese fetischhafte, phantasmatische Fixierung der körpergeschlechtlichen Norm läßt sich bis in die scheinbar „kreativ“ bestimmten Choreographien in der sportlichen oder theatralischen Inszenierung verfolgen. Tatjana Beers Arbeit „Traumziel Drehmoment“ greift sich den Eiskunstlauf als Verdichtung dieser Normierung heraus; die ausgefrästen Umrisse einer Eiskunstläuferin in einer weißen hängenden Fläche, die in drei Bildsequenzen zerlegte Phasendarstellung des Sturzes auf das Eis. Dazu erklingen die Punktbewertungen der Richter und die Kommentare der Sportmoderatoren vom Band; nichts wird obsessiver zum Makel der Kür erklärt wie der Sturz, die Unterbrechung der einstudierten „weiblich fließenden“ Pirouette. Die Bild-Zeitung erfand den Begriff „Eishexe“ für die amerikanische Eisläuferin Tonya Harding, die zu dem Eisenstangen-Attentat auf ihre Konkurrentin Nancy Kerrigan angestiftet haben soll. Bettina Allamoda untersucht mit ihrer Installation „Lee-Anne/ Biolante (revisited)“ einen Fall aus der Welt des Trash und der Popkultur – die genetisch mutierte Monster-Rose „Biolante“, gegen die Godzilla in einem 1989 entstandenen B-Picture antreten muß. In der Rose fokussiert sich ein Mix aus Konstruktionen des „anderen“ Weiblichen und der mutierenden Unkontrollierbarkeit des Materiellen; amorphe rote „Überreste“ der Rose bilden den augenfälligsten Teil Allamodas Arbeit.
Potentielle Rezipienten der Ausstellung stehen nicht einfach „vor“ den Werken; sie werden selbst „hineingezogen“ in die Thematisierung der ambivalenten Dynamik der Verfestigung von Körpergeschlecht im Diskurs. Mano Wittmann und Elfe Brandenburger zeigen ein Karaoke-Video, vor das man sich in ein schickes Wohnzimmerinterieur plaziert, um dann die Textzeilen von Stücken mitzulesen oder zu singen, die allesamt männliche Besitzergreifung von weiblichen Körpern als Drama männlicher Getriebenheit inszenieren; Vergewaltigung und Eifersuchtsmord als Schicksal. Welche kontextuelle Bedeutung „Delilah“ von Tom Jones hat, ein flottes Lied über den eifersüchtigen Helden, der die ihn betrügende Delilah ersticht, damit sie ihn nicht mehr auslacht, wird nicht explizit kommentiert. Aber die beiden Künstlerinnen sind auf dem Bildschirm zu sehen, wie sie Unmengen von Essen von Ikea-Möbeln und -Eßgeschirr in sich hineinstopfen, wie sie dazwischen erschöpft, mit angeklebten Bärten und im wahrsten Sinne angekotzt zu der Musik grooven. Bevor man klärt, ob ein (Song-)Text als inszenatorisches Sprechen sich affirmativ oder subversiv – oder beides – zum Behandelten verhält, muß überhaupt erst mal das Problematische am unreflektierten „Mitsingen“ des Textes, am „selbstverständlichen“ Verständnis von Geschlecht als Schicksal, dargelegt werden. Vielleicht ist das ein entscheidender Zug am Projekt „When Tekkno turns to Sound of Poetry“ – die Selbstverständlichkeit des Hinwegsehens über die Existenz sozialer Normierungen für Momente „analytischer Poetry“ zu unterbrechen.
„When Tekkno turns to Sound of Poetry“. Bis 14. August in der Shedhalle Zürich; am 14.8. finden dort Vorträge der Hamburger Künstlerinnengruppe „-Innen“ sowie die Präsentation der Zeitung A.N.Y.P. Nr. 6 statt.
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