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Liebesgrüße vom Missionar oder Schreib mal wieder Von Olaf Cless

Es muß was Wunderbares sein, Kettenbriefe zu versenden. Neulich flatterte mir wieder einer in den Kasten. Abgeschickt und ordentlich frankiert von einem Anonymus, vielleicht auch einer Anonyma, der/die es aus unerfindlichen Gründen schrecklich gut mit mir meint.

„Ein chinesisches Gebet soll Glück bringen“, versprach die stark mitgenommene Fotokopie, die jemand irgendwann einmal von Hand, Buchstabe für Buchstabe ausgebessert haben mußte. „Neun Tage nach Erhalt dieses Briefes werden Sie Glück haben. Das ist kein Witz.“ Das Glück allerdings hat seinen Preis: Ich sollte zwanzig Kopien des Briefes an Bekannte verschicken, und das binnen 96 Stunden. „Aus keinem Grund darf die Kette unterbrochen werden.“ Zur Abschreckung führte das Schreiben ein paar bedauernswerte Fälle an: „Ein Angestellter erhielt den Brief und vergaß ihn. Ein paar Tage später verlor er seinen Arbeitsplatz. 1957 erhielt diesen Brief Roman B., warf ihn weg und lachte darüber. Ein paar Tage später verlor er bei der Geburt seines Sohnes die Frau.“

Ich habe den Brief trotzdem nicht weitergeschickt. Nicht nur, weil ich meinen Arbeitsplatz als Angestellter ohnehin schon vor Jahren verloren und zur Zeit auch keine Geburt anstehen habe; sondern vor allem, weil ich sauer darüber war, daß das erwähnte chinesische Gebet in dem Brief gar nicht enthalten war, statt dessen bloß der magere Hinweis, daß es „ein Missionar auf den Antillen geschrieben“ habe. Das leuchtete mir nicht ein. Was hat ein Missionar, der chinesische Gebete vom Stapel läßt, auf den Antillen verloren? Und wieso liegt dann das Original, wie es im Brief weiter hieß, „in den Niederlanden“? Und wer zum Teufel will genau wissen und woher, daß der Brief „schon achtmal um die Welt gegangen“ ist? Längs oder quer oder kreuz? Mit einem ständigen Übersetzer an seiner Seite?

Statt eines bösen Schicksalsschlages ereilte mich (warum immer mich?) vor ein paar Tagen nur ein neues Sendschreiben. Diesmal abgestempelt in einer Nachbarstadt. „Mit Liebe ist alles möglich“, lautete die frohe Kettenbotschaft, diesmal „in Neuseeland“ hinterlegt, wenngleich „aus Venezuela“ kommend, von „einem Missionar aus Südafrika“ geschrieben und sogar schon „neunmal um die Welt gegangen“. Mir schwirrte der Kopf.

Wieder waren zwanzig Kopien zu verschicken, worauf schon nach vier Tagen ein kapitaler Lottogewinn oder ähnliches winken würde. Allen Saumseligen zur Warnung war der Fall einer jungen Kalifornierin kolportiert: Die ließ 1987 den Brief schmählich liegen und wurde prompt „heimgesucht von unterschiedlichen Problemen, wie z. B. sehr teuren Reparaturen ihres Autos“. Eine harte Strafe. Doch auch damit war der neunfache südafrikanische Missionar aus Venezuela in Neuseeland bei mir leider am Falschen: Ich fahre gar kein Auto.

Aber was erzähle ich Ihnen das alles. Ihr Briefkasten wird ja auch längst von Kettenbriefen überquellen. Ich hab es ausgerechnet: Ein Brief, jeweils 20fach geschickt, wird schon nach fünf Runden zur Lawine, die sämtliche deutsche Haushalte glücklich macht. Weshalb ich übrigens auch vermute: Die Kettenbriefmissionare haben Beraterverträge bei der Post.

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